Interview mit Burkhard Jung

„Wir brauchen eine Trendumkehr beim Bestand an Sozialwohnungen“

Karin Billanitsch07. Juni 2019
Präsident Burkhard Jung auf der Abschluss-Pressekonferenz des Deutschen Städtetags 2019 in Dortmund.
Die Städte haben Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung an ihre Spitze gewählt. Mit der DEMO spricht der neue Städtetagspräsident darüber, wo er Akzente setzen will. Jung nennt zum Beispiel die Themen Wohnen, nachhaltige Mobilität, Klimaschutz und Digitalisierung. Er betont, dass die Städte „konkrete Ergebnisse von der vom Bund eingesetzten Kommission“ erwarten.

Herr Jung, Glückwunsch zu Ihrer Wahl! Wo wollen Sie besondere Akzente als Städtetagspräsident setzen?

Der Deutsche Städtetag als Stimme der Städte soll laut und vernehmbar zu hören sein. Die kommunale Perspektive ist zwar manchmal für die Bundespolitik unbequem. Aber es ist gut und wichtig, wenn sich Gesetzesvorhaben vorab dem Praxistest stellen und die Kompetenz der Städte mit einfließen kann. Wichtige Themen werden zum Beispiel Wohnen, nachhaltige Mobilität, Klimaschutz und Digitalisierung sein.

Aktuell ist das Thema Wohnungsnot eines der größten Herausforderungen in den Kommunen, vor allem in Ballungsräumen. Was ist zu tun?

Bauen, bauen, bauen und dafür gute Voraussetzungen schaffen. Dafür sind alle Akteure gefragt, die Immobilienwirtschaft genauso wie Bund, Länder und Kommunen. Die Koalition wollte 1,5 Millionen neue Wohnungen in dieser Legislaturperiode erreichen. Im vergangenen Jahr waren es nicht einmal 300.000. Das reicht nicht. Um besonders Menschen mit geringen Einkommen bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist der soziale Wohnungsbau das wichtigste Instrument. Leider fallen immer noch jedes Jahr mehr Wohnungen aus den Preisbindungen als neue hinzukommen. Wir brauchen eine Trendumkehr beim Bestand an Sozialwohnungen.

Leipzig gehört zwar nicht dazu, aber es gibt Städte, deren Bevölkerung schrumpft. Wie sollen diese Städte mit dieser demografischen Herausforderung umgehen?

Es hat immer Wanderungsbewegungen gegeben, von der Stadt aufs Land und umgekehrt, von strukturschwachen hin zu wirtschaftlich prosperierenden Regionen. Rückbau von Wohnungen und Infrastruktur kann notwendig werden, Dienstleistungen der Daseinsvorsorge gilt es zu gewährleisten und das bei oft bei sinkenden Einnahmen. Das ist für jede betroffene Stadt eine Riesenherausforderung. Und da sind wir beim Thema Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland. Dabei geht es um Chancengerechtigkeit. Die Lebenschancen gerade junger Menschen dürfen nicht vom Ort abhängen, in dem sie wohnen. Das ist ein großer Anspruch. Die Städte erwarten deshalb konkrete Ergebnisse von der vom Bund eingesetzten Kommission. Wir brauchen sowohl zielgenaue Hilfen für strukturschwache Städte und Regionen als auch Lösungswege für drückende Altschulden. Und auch die Länder sind in der Verantwortung. Sie müssen dafür sorgen, dass die Städte finanziell so ausgestattet sind, dass sie ihre Aufgaben erfüllen können und die Infrastruktur nicht verfällt.

Was hat zum Boom in Leipzig beigetragen und können andere davon lernen?

Wir haben uns nach dem wirtschaftlichen und demografischen Niedergang der 1990er Jahre vor allem auf zwei Dinge konzentriert: die Stadt attraktiv machen für junge, kreative Menschen. Etwa, indem wir Brachen und Freiräume, nicht nur bauliche, sondern auch kulturelle, zur Verfügung gestellt haben. Diese Menschen sollten sich bei uns wohlfühlen, das haben wir unterstützt, mit Geld, aber auch mit einer Einstellung, die den Menschen signalisiert: Ihr seid hier willkommen. Außerdem ist es klassische Wirtschaftsförderung: ohne Ansiedlungen wie BMW, Porsche oder DHL wäre der Erfolg deutlich geringer ausgefallen.

Mehr kommunaler Wohnungsbau, mehr Kitaplätze und bessere Qualität in der Bildung, ein gutes Kulturangebot, Integration: Fordern Sie mehr Geld für kommunale Aufgaben vom Bund?

Wenn wir im Städtetag über Geld reden – und das müssen wir häufig machen –, dann ist das kein Selbstzweck. Eine vernünftige finanzielle Ausstattung der Städte ist die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Aufgaben erfüllen und die Menschen ihre Stadt lebenswert finden. Das betrifft natürlich auch die Aufgaben, die der Bund im Zusammenspiel mit den Ländern immer wieder neu auf die Schultern der Kommunen packt. Aktuelles Beispiel sind die Pläne der Bundesregierung, die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern auszubauen. Das Ziel, jedem Kind die Möglichkeit der Bildung und Betreuung am Nachmittag einzuräumen, unterstützen die Städte ausdrücklich. Aber wenn Bund und Länder sich auf einen Rechtsanspruch für die Ganztagsbetreuung von Schulkindern einigen sollten, darf er nicht zulasten der Kommunen gehen.

Die nachhaltige Verkehrswende beschäftigt die Städte. Welche Veränderungen erwarten Sie für die Mobilität der Zukunft?

Im Mittelpunkt stehen ein gut ausgebauter, emissionsarmer öffentlicher Nahverkehr, integrierte Sharing-Systeme wie Sammeltaxis, gute Fußwege und sichere Radwege. Wo das Auto unverzichtbar bleibt, müssen Car-Sharing oder Abhol- und Mitfahrgelegenheiten über Apps für Taxi und Mietwagen zur Normalität werden. Wir müssen erreichen, dass die Angebote für die Menschen attraktiv sind, damit sie freiwillig vom Auto auf Bahn und Bus umsteigen. Dazu gehören natürlich auch moderne Fahrzeuge im ÖPNV und ein Ausbau des Schienenverkehrs. Auch der Wirtschaftsverkehr muss sich verändern. Auf der sogenannten letzten Meile erarbeiten einige Städte schon mit verschiedenen Paketdiensten die Logistik für gemeinsame Fahrten und testen den Betrieb von Mikrodepots. Für alles braucht es aber auch die langfristige Unterstützung von Bund und Ländern. Wir müssen wegkommen von vielen kleinteiligen Einzelmaßnahmen. Deshalb fordern die Städte ein Gesamtkonzept für nachhaltige Mobilität von Bund und Ländern.

Sie haben in Leipzig am 23. Mai zum Geburtstag des Grundgesetzes ein großes Fest gefeiert. Gibt es im Osten noch das Gefühl, zweitrangig zu sein?

Bei den sozioökonomischen Daten hat der Osten stark aufgeholt. Einige Ballungszentren zwischen Ostsee und Erzgebirge können es locker mit westdeutschen Regionen aufnehmen. Aber das ist nur die eine Seite, das Gefühl der Zweitrangigkeit resultiert nur zum Teil aus Einkommen oder Wirtschaftskraft. Mindestens genauso stark ist das Gefühl, ob man ernst genommen wird. Ob die eigene Lebensleistung, die Brüche nach 1989 anerkannt werden. Und das ist oftmals nicht geschehen. Dies nachzuholen, dafür ist es nicht zu spät.

Zur Zeit wird das Forum Recht in Karlsruhe und Leipzig aufgebaut. Was wird die Aufgabe dieser Stiftung sein?

Ich möchte vorwegschicken: In Leipzig stand bis 1945 das Reichsgericht. Es gibt also einen historischen Anknüpfungspunkt. Und es gibt einen aktuellen: 1989 sind die Leipzigerinnen und Leipziger eben auch für den Rechtsstaat auf die Straße gegangen, den sie in der DDR so schmerzlich vermisst hatten. Das Forum Recht soll das Thema Justiz aus den Gerichtssälen und Seminarräumen holen und konkret deutlich machen, was die Menschen in ihrem Alltag von unserem Rechtsstaat haben. Es soll verdeutlichen, dass er nicht selbstverständlich ist, dass er es wert ist, verteidigt zu werden.

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