Deutscher Städtetag

Neue Richtlinie zur Luftqualität: Städte befürchten Klagen

Carl-Friedrich Höck20. November 2023
Verkehr in Berlin: Lange Zeit war die Luftqualität in Städten kein Aufregerthema mehr. Eine EU-Richtlinie könnte das ändern.
Die EU plant strengere Grenzwerte für saubere Luft. Aus Sicht des Deutschen Städtetages haben die Kommunen ihre Einflussmöglichkeiten schon ausgeschöpft. Es müssten andere in die Pflicht genommen werden, etwa die Industrie.

Es gab Zeiten, als ganz Deutschland über Feinstaubwerte und Stickstoffemissionen in den Städten diskutierte. Das ist einige Jahre her. Mittlerweile halten die deutschen Kommunen die geltenden Grenzwerte fast flächendeckend ein. Die Szenarien, dass per Gerichtsbeschluss Fahrverbote für Pkw verhängt werden müssen, scheinen vorerst vom Tisch.

Doch wie der Deutsche Städtetag nach seiner Präsidiumssitzung am Freitag deutlich machte, gewinnt das Thema Luftqualität wieder an Brisanz. Grund ist eine geplante Luftqualitätsrichtlinie der Europäischen Union (EU). Sie soll die bisherigen Vorgaben verschärfen und dafür sorgen, dass Emissionen weiter gesenkt werden.

Kommission will Grenzwerte halbieren

Konkret sollen die Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub in der Luft bis 2030 halbiert werden. So sieht es die EU-Kommission vor. Das Europäische Parlament plädiert sogar für noch niedrigere Grenzwerte, um die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umzusetzen.

Dafür sehen die Städte aber wenig Spielraum, erklärte Städtetags-Präsident Markus Lewe. Die Kommunen hätten bereits Tempolimits verschärft, Fahrspuren reduziert, Frischluftschneisen vergrößert, den Fuß- und Radverkehr gefördert, den Öffentlichen Nahverkehr ausgebaut und die Elektromobilität vorangetrieben. Alle verfügbaren Maßnahmen, die zur Verfügung stehen, hätten die Städte genutzt.

Städte sehen Verantwortung bei der Wirtschaft

Nicht die Städte seien die Verursacher der Emissionen, betonte Lewe. „Vor allem die Industrie, Automobilhersteller, Energiewirtschaft und Landwirtschaft tragen erheblich zur Luftverschmutzung bei.“ Dort müsse gehandelt werden, denn Schadstoffe ließen sich am besten an der Quelle vermeiden.

Der kommunale Spitzenverband fordert deshalb Bund und Länder auf, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die tatsächlichen Verursacher der Emissionen stärker in die Pflicht genommen werden. „Es muss deshalb nachgeschärft werden bei der Industrieemissions-Richtlinie, bei den EURO-Normen für neue Fahrzeuge und für die Landwirtschaft“, so Lewe.

Angst vor Schadenersatzansprüchen

Die Kommunen befürchten andernfalls, dass sie mit Klagen überzogen werden könnten. Die neue Richtlinie dürfe nicht dazu führen, dass Bürgerinnen und Bürger individuelle Schadenersatzansprüche gegen die Städte geltend machen, warnt der Städtetag. „Besonders problematisch sehen wir die Einführung eines Sammelklagerechts für Schadenersatzansprüche“, sagte Lewe.

Als Beispiel nannte er den Schiffsverkehr. Städte wie Köln oder Mannheim könnten nicht verantwortlich gemacht werden für die Emissionen, die vorbeifahrende Schiffe ausstoßen. Grundsätzlich sei es sinnvoll, Schadstoffe in der Luft zu reduzieren. Das dürfe aber nicht bei den Kommunen abgeladen werden, so Lewe.

Städte drängen auf Klarheit beim Deutschlandticket

Ein zweites Thema auf der Präsidiumssitzung des Städtetages war der Öffentliche Personen-Nahverkehr (ÖPNV). Vizepräsident Burkhard Jung forderte nach der Sitzung massive Investitionen und eine Modernisierungsoffensive. Das sei eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. „Doch die Gespräche zwischen Bund und Ländern zum angekündigten Ausbau- und Modernisierungspakt für den ÖPNV stocken seit Monaten.“ Die Verkehrswende stehe aktuell auf dem Abstellgleis.

Verärgert zeigte sich Jung auch darüber, dass die Zukunft des Deutschlandtickets weiterhin ungeklärt sei. „Die Einigung ist wieder mal vertagt“, stellte er mit Blick auf die Ministerpräsident*innenkonferenz vor zwei Wochen fest. Das sei nicht akzeptabel. Es müsse langfristig abgesichert werden, wie es weitergehe, und zwar auch über das kommende Jahr hinaus. Aktuell hätten die Kommunen nur „halbwegs Klarheit“ bis Mitte kommenden Jahres. Das schaffe viel Unsicherheit.

weiterführender Artikel