Interview mit Nancy Faeser

„Digitalisierung ist eine Generationenaufgabe”

Karin NinkCarl-Friedrich Höck22. Juni 2023
Nancy Faeser (SPD) ist seit Dezember 2021 Bundesinnenministerin. Ihr Ministerium ist auch für die Bereiche Cybersicherheit und Digitale Verwaltung zuständig.
Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat, spricht im Interview über den Stand der Verwaltungsdigitalisierung. Sie erklärt, was der Bund gegen den Fachkräftemangel und die Bedrohung durch Cyberangriffe unternimmt.

DEMO: Das 2017 beschlossene Onlinezugangsgesetz (OZG) sah ursprünglich vor, dass Bund, Länder und Kommunen alle Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch digital anbieten sollen. Das Ziel wurde verfehlt. Was waren die Hauptgründe?

Nancy Faeser: Zunächst einmal möchte ich voranstellen: Wir haben bei der OZG-Umsetzung bereits sehr viel erreicht. Nach Ablauf der gesetzlichen Frist sind Erfolge klar sichtbar. Der Bund betreibt mit dem Bundesportal ein zentrales Verwaltungsportal für die Entwicklung und Bereitstellung von digitalen Leistungen sowie die BundID, ein Nutzerkonto für die Registrierung, Identifizierung und Bescheid-Zustellung. Das Bundesportal wurde mit den zentralen Länderportalen zu einem Portalverbund verknüpft. Deshalb möchte ich betonen: Der Bund hat seine Pflichten aus dem OZG weitgehend erfüllt.

Darüber hinaus sind heute fast hundert Verwaltungsleistungen, für die der Bund zuständig ist, darunter das Bürgergeld und Integrationskurse, online verfügbar und auch die Länder haben zahlreiche wichtige Onlinedienste, wie z. B. den BAföG- oder Elterngeld-Antrag flächendeckend digital verfügbar gemacht.

Aber es ist richtig, dass in der OZG-Umsetzung sowie generell in der Verwaltungsdigitalisierung noch nicht alles glatt läuft. Wir haben viel aufzuholen, was lange versäumt wurde. Die Hauptgründe für eine noch nicht vollständige OZG-Umsetzung sind komplexe Strukturen, ein unterschiedlicher Digitalisierungsfortschritt, zum Teil fehlendes Know-how und Personal sowie die Heterogenität der IT-Landschaft. Das fordert uns alle – Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass eine vorrangig finanzielle Unterstützung für eine erfolgreiche Umsetzung und Nachnutzung von nutzerorientierten und qualitativ hochwertigen Onlinediensten in der Verwaltung nicht ausreichend ist.

Trotzdem schreitet die Digitalisierung in den Behörden voran. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand, was läuft gut und wo hakt es noch? Wann ist das Ziel erreicht?

Wir wollen unser Land moderner, bürgernäher und digitaler machen. Vor 2017 gab es weder Strukturen, noch eine Kultur, die eine digitale Transformation der Verwaltung zugelassen hätten. Heute sind wir schon viel weiter. Es wurde bereits sehr viel geleistet, jedoch ist davon für die Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen noch zu wenig im Alltag zu spüren. Daran arbeiten wir unter Hochdruck. Wir wollen einen digitalen Staat, der das Leben leichter macht, wertvolle Zeit sparen, der Zettelwirtschaft ein Ende bereiten und Behördengänge vermeiden.

Deshalb haben wir am 24. Mai im Bundeskabinett das Paket für die digitale Verwaltung beschlossen. Damit ist uns ein Durchbruch auf dem Weg zu nutzerfreundlichen und vollständig digitalen Verwaltungsverfahren gelungen. Zukünftig können digitale Anträge deutschlandweit über die BundID als zentrales Bürgerkonto gestellt werden. Für Unternehmen wird es in Zukunft nur noch digitale Anträge geben. Besonders begrüße ich, dass wir uns gemeinsam mit Ländern und Kommunen jetzt auf 15 besonders wichtige Leistungen fokussieren. Spätestens 2024 werden dadurch zum Beispiel die Kfz- oder Führerschein-Anmeldung, die Ummeldung, eine Baugenehmigung und das Elterngeld deutschlandweit digital beantragt werden können. Das ist ein großer Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger – und ein Meilenstein auf dem Weg zum digitalen Staat.

Am Ende wird unser Land aber nicht digital, weil wir ein neues Gesetz erlassen. Die Wirkung entfaltet sich erst durch konsequentes Tun in der Praxis. Und genauso ist klar, die Digitalisierung ist eine Dauer- und Generationenaufgabe.

Für die Digitalisierung benötigen die Verwaltungen Fachpersonal. Doch gute Expertinnen und ­Experten sind gar nicht so leicht zu bekommen, Stichwort Fachkräftemangel. ­Welche Lösung sehen Sie für das Problem?

In der Privatwirtschaft wie auch im öffentlichen Dienst besteht und wird auch in den kommenden Jahren ein intensiver Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen. Das gilt insbesondere auch für IT-Fachkräfte.

Beim Wettbewerb um Nachwuchskräfte lässt sich jedoch aktuell feststellen, dass die Ausgangslage für den öffentlichen Dienst besser ist als häufig angenommen. In den letzten Jahren sind – in enger Abstimmung mit den Bedarfsträgern aus der Praxis – vielfältige ­Instrumente zur Gewinnung und Bindung von Fachkräften eingeführt worden: Dazu gehören beispielsweise teilweise höher bezahlte Eingangsämter, Personal­gewinnungs- und -bindungsprämien im Beamtenbereich bzw. verschiedene Zulagen im Tarifbereich mit vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten und die verbesserte Anerkennung von beruflichen Erfahrungszeiten.

Speziell für die Gewinnung von IT-Fachkräften wurden neue Vorbereitungsdienste eingerichtet, um mit den veränderten Aufgaben und Anforderungen in diesem Bereich Schritt zu halten. Das Laufbahnrecht wurde ebenfalls an die veränderten Anforderungen angepasst. So ist beispielsweise der Zugang zum höheren Dienst bereits mit ein­jährigem Master-Abschluss möglich.

Darüber hinaus ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch noch großzügigere Modelle des ortsunabhängigen Arbeitens gestärkt worden und bietet ein Höchstmaß an Flexibilität. Gerade jungen Bewerberinnen und Bewerbern sind gute und sichere Arbeitsbedingungen einhergehend mit sinnstiftenden Aufgaben besonders wichtig. Um diese Attraktivitätsfaktoren noch stärker bekannt zu machen, haben wir beispielsweise die Arbeitgeber-Dachmarke Bundesverwaltung inklusive einer neuen zentralen Karriere-Webseite entwickelt.

Durch weitere Maßnahmen, Kampagnen und rechtliche Anpassungen entwickelt sich der öffentliche Dienst stetig weiter. Wir untersuchen fortlaufend, welche Voraussetzungen für den Zugang in den öffentlichen Dienst künftig gestellt werden müssen, aber auch gestellt werden können, ohne dabei Abstriche an der erforderlichen Qualifizierung zu machen, und wie Personal auch intern weiterentwickelt werden kann. Insgesamt wird viel getan, um auch die zukünftige Generation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den öffentlichen Dienst als attraktiven Arbeitgeber zu gewinnen.

Wie kann bei alledem die Daten­sicherheit gewährleistet werden?

Zur Sicherstellung der Datensicherheit haben wir im Jahr 2022 die IT-Sicherheitsverordnung Portalverbund erlassen. Zudem nehmen wir dieses Jahr die Sicherheit der OZG-Onlinedienste durch gezielte Informations- und Aufklärungsarbeit zu den neuesten IT-Sicherheitsmaßnahmen in den Blick.
Auch die Sicherheit der BundID überprüfen wir regelmäßig gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Sie wird außerdem fortlaufend auf Schwachstellen getestet.

Schließlich sind auch die Datenschutzregelungen für Onlinedienste im neuen OZG 2.0 zukünftig nach dem Einer-für-Alle-Prinzip klar geregelt: Ein Bundesland stellt einen Online-Dienst für alle Länder bereit; seine Datenschutzbehörde ist für diesen Dienst dann zuständig. Das spart Zeit, Ressourcen und Kosten.

Städte und Gemeinden werden zunehmend Ziel von Cyberangriffen. Kriminelle versuchen, Lösegelder zu erbeuten, dazu kommt die Sorge vor politisch motivierten Hackerangriffen etwa aus Russland. Wie können Kommunen sich wirksam schützen?

Für die Gewährleistung von IT-Sicherheit gibt es verschiedene organisatorische und technische Standards, wie beispielweise den IT-Grundschutz des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. Wer den Aufbau und Betrieb seiner IT entlang solcher Standards vorsieht, erreicht bereits ein hohes Maß an IT-Sicherheit. Einige Vorfälle in der Vergangenheit haben gezeigt, dass bei der Umsetzung solcher Standards noch ein heterogenes Feld besteht. Hier würde ein besserer Umsetzungsstand die ­IT-Sicherheit weiter erhöhen.

Welche Unterstützung leistet der Bund dabei?

Die Kommunen sind Teil der Länder. Insofern hat der Bund keine unmittelbaren Zuständigkeiten. Da die Beratung der Länder aber zu den gesetzlichen Aufgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik zählt, gibt es hier insoweit Unterstützung für Länder und Kommunen. Hierbei setzen wir stark auf die Zusammenarbeit mit Multiplikatoren, um mit den begrenzten Ressourcen den größtmöglichen Nutzen zu stiften. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik als nationale Cyber-Sicherheitsbehörde bietet darüber hinaus allen Anwendergruppen zahlreiche Beratungs- und Unterstützungsangebote in Form von Broschüren oder Web-Seiten.

Für die dem OZG unterfallenden Verwaltungsbereiche bei Bund, Ländern und Kommunen sind außerdem verbindliche Sicherheitsstandards und zeitgemäße Strukturen zur Gewährleistung der IT-Sicherheit vorgegeben.