Digitalisierung

Auf der Suche nach Digitalen Zwillingen

Harald Lachmann22. Juni 2023
Der Leipziger Augustusplatz mit dem Mendebrunnen im Vordergrund. Das Projekt „LebeLiebeLeipzig” fahndet nach solchen Lieblingsorten der Einwohnerinnen und Einwohner und nutzt digitale Partizipationsmöglichkeiten.
Leipzig, Hamburg und München arbeiten an virtuellen Kopien, um Szenarien für ihre Städte zu simulieren.

Satte 820 Millionen Euro lässt sich der Bund die Modellprojekte Smart Cities kosten. Gefördert werden die Entwicklung und Umsetzung kommunaler, fachübergreifender und raumbezogener Digitalstrategien sowie der Aufbau der nötigen Kompetenz. 73 Konzepte kamen so seit 2019 bundesweit auf den Weg. Mehr als 30 davon widmen sich „Digitalen Zwillingen“. Dieser Begriff aus der Wirtschaft meint virtuelle Kopien von Prozessen und Objekten, die über Sensoren mit der realen Welt verbunden sind und komplexe Simulationen der Realität ermöglichen. Eines dieser Projekte nennt sich Connected Urban Twins, kurz CUT. Umgesetzt wird es von Hamburg, Leipzig und München, was in dieser übergreifenden Partnerschaft in Deutschland einzigartig ist. Die drei Metropolen sammelten bereits mit eigenen IT- und Smart-City-Strategien umfangreiche Erfahrungen, die sie nun für einen interkommunalen Wissenstransfer aufbereiten.

Baukasten für alle Kommunen

„Neben den Digitalen Zwillingen in unseren drei Städten soll deshalb auch eine Art Grundbaukasten entstehen, den wir allen Kommunen zur Verfügung stellen“, berichtet Heike Gebhardt. Daraus könnten sich dann auch „verschiedene Fach-Zwillinge entwickeln“, so die Sozioökonomin. Denn die gemeinsam kreierten Lösungen „verlassen bewusst die städtische Perspektive, um auch für andere nachnutzbar zu sein“. Inzwischen engagieren sich um die 80 Kommunen für die Smart-City-Strategien – von A wie Apfeldorf bis Z wie Zwönitz.

Heike Gebhardt gehört in Leipzig dem – städteübergreifend – 70-köpfigen CUT-Team an, und sie freut sich über die „sehr fruchtbare Verbindung“, die seit Projektbeginn 2021 zu Hamburg und München entstand. Immerhin fördert der Bund allein CUT bis 2025 mit 21 Millionen ­Euro, ergänzt durch 11 Millionen Euro aus den drei Partnerstädten. Ziel sei unter anderem die Schaffung von Schnittstellen in den Verwaltungen, so Christoph ­Schubert. Auch er gehört zum Leipziger CUT-Team und weiß aus Erfahrung: ­„Jedes Amt, jeder Verwaltungsbereich hat eigene Daten, mit denen man täglich arbeitet – und es ist zunächst nicht so einfach für andere Ämter, mit diesen Daten auch etwas zu machen.“ Digitale Zwillinge entstünden aber erst dann, wenn „es gelingt, Daten aus verschiedenen Bereichen so zusammenzuführen, dass sie ein Abbild bestimmter Ausschnitte der Stadt erzeugen“. Am Ende sollen vielfältige Urban Twins entstanden sein, die eine Stadt als eine veränderliche, lebendige Umgebung abbilden, auch um „Was-Wäre-Wenn-Szenarien“ zu simulieren: Wie wirkt es sich auf die Staulage aus, wenn in der Innenstadt flächendeckend Tempo 30 gilt? Wo drohen bei Starkregen Überschwemmungen und wie lässt sich das vermeiden? Wo könnten neue Bäume das Stadtklima besonders im Hochsommer verbessern?

Bewohner digital einbeziehen

Digitale Zwillinge fundieren damit nicht nur Planungen, sie machen diese „für unterschiedliche Zielgruppen auch besser nachvollziehbar“, so Schubert. „Vor allem auch die Bewohner beziehen sie wirksamer in Entscheidungsprozesse ein“. Ganz gezielt dient dem auch das CUT-Praxisbeispiel „LebeLiebeLeipzig“ – ein zeitlich unbegrenztes Beteiligungsverfahren, das nach den Lieblingsorten der Einwohner fahndet. Hierfür zahlt sich für die ­Projektmacher die Nähe zu Hamburg doppelt aus, denn das hanseatische Online-­Beteiligungstool DIPAS bestand schon vor Projektbeginn. „Wir pilotieren es hier also mit ersten guten Ergebnissen und stehen dazu auch mit weiteren Kommunen im Austausch“, so Heike Gebhardt.

Freilich hat es für eine Stadt auch ­Tücken, wenn sie eine bereits fertige Software übernimmt, selbst wenn alles technisch passt. „Die Prozesse in einer Verwaltung laufen halt anders“, erzählt sie. „Man macht eine Anforderungserhebung, was man an Funktionalitäten braucht, welche Bedarfe man hat – und sucht erst danach eine Software aus.“ Zudem denke man stets auch „an einen möglichen Kostennachlauf“, fügt Schubert hinzu: „Dinge, die ich heute entscheide, müssen auch langfristig finanzierbar bleiben.“

Für „LebeLiebeLeipzig” hatten sich die Projektmacher entschieden, weil sie für das Partizipieren der Stadtgesellschaft „ein niedrigschwelliges Thema suchten, zu dem jeder etwas erzählen kann und das sich relativ leicht verorten lässt“. Lieblingsplätze hätten eben alle. Und die Resonanz sei auch erfreulich, es gebe schon über 40 Reaktionen aus der Bürgerschaft. Auf dieser Basis will das CUT-Team perspektivisch selbst einen Raum schaffen, „an dem man sich begegnet, kreativ entfalten und gemeinsam Lösungen für eine nachhaltige Stadt entwickeln kann“.