Soziokultur

Motor für den Dorfladen

06. Juli 2017
Soziokulturelle Zentren können auf dem Land viel bewirken. Sie sind wichtige Nischen für Kulturschaffende und zugleich ein Bindeglied für das gesellschaftliche Zusammenleben.

Die Frau läuft auf dem weißen Strich am Bahnsteig entlang – doch keiner der Männer um sie herum rettet sie. Und am Ende weiß diese Frau: „Ich bin eine Primzahl, denn keiner will sich mit mir teilen.“ Victoria Helene Bergemann aus Hamburg steht auf der Bühne und deklamiert, was ihre Seele hergibt. Sie ist Autorin und begeistert an diesem Abend auf einem Poetry Slam vor allem junge Leute. Sie sitzen dicht an dicht im Kulturzentrum Kleinbahnhof, kurz KUZ, in der niedersächsischen Kreisstadt Osterholz-Scharmbeck.

Offen für alle

Es ist eines der vielen soziokulturellen Zentren in Niedersachsen – jenen in den 1970er und auch noch in den 1980er Jahren entstandenen Einrichtungen in Dörfern, kleinen und mittleren Städten. Im Gegensatz zu Theatern und Opern sollen die soziokulturellen Zentren offen für alle Bevölkerungsgruppen sein. Örtliche Theatergruppen haben dort genauso ihren Platz, wie Elterngruppen und Initiativen. Soziokulturelle Zentren sind zudem wichtige Spielstätten für Künstler. Sängerinnen wie Ulla Meinecke treten dort genauso auf wie erfolgreiche ­Comedians, Hennes ­Bender zum Beispiel.

Gut funktionierende Zentren sind nach Überzeugung von Praktikern ein wichtiges Bindeglied für das Zusammenleben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt im ländlichen Raum. „Die Soziokultur ist Motor, Dreh- und Angelpunkt“, sagt Dorit Klüver, Pressesprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur Niedersachsen (LAGS). Zu ihr gehören nach eigenen Angaben 99 Vereine und Zentren. Die Einrichtungen würden die nicht mehr existierenden Kneipen, die Postfiliale oder den geschlossenen kleinen Supermarkt als Kommunikations­mittelpunkte ersetzen. Dadurch werde die Dorf­gemeinschaft gestärkt.

Ein Identifikationsfaktor selbst für die, die nicht hingehen

Gleichwohl ließen sich die grundsätzlichen Probleme des ländlichen Raumes nicht lösen, weiß Ute Fürstenberg. Sie ist Pressesprecherin der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren in Berlin. Wo die entsprechenden Einrichtungen gut in Schuss sind, erhöhten sie den ­„Identifikationsfaktor“ der Menschen auf dem Land. Fürstenberg weiß: „Die Leute dürsten nach Kultur; selbst dann, wenn sie die Zentren nicht besuchen.“ In den Dörfern könnten sich Kulturschaffende ihre Nischen suchen, „die in der Stadt untergehen“, meint Fürstenberg. In diese Sicht stimmt Karin Dialer-Strackerjan ein. Sie ist über viele Jahre Geschäftsführerin der Kulturmühle Berne im niedersächsischen Landkreis Wesermarsch gewesen. Die Kulturmühle ist gerade 25 Jahre alt geworden. Nach anfänglicher Skepsis „haben wir uns etabliert“, sagt Dialer-Strackerjan. Der Anspruch, „eine andere Kultur als Maibaumsetzen und Feuerwehrbälle“ zu realisieren, habe sich durch viel Engagement in die Tat umsetzen lassen.

Dank gut dotierter Zuwendungen insbesondere von verschiedenen Stiftungen können die Macher der Kulturmühle heute unterschiedlichen Gruppen einen Treffpunkt anbieten. Die Kulturmühle ist für Senioren, Kinder und Jugendliche ebenso wie zum Beispiel für Künstler da. Besonders stolz ist Dialer-Strackerjan darauf, dass junge Bands aus der Region in der Kulturmühle in die Saiten hauen können.

Vorbehalte in Dörfern existieren

Allerdings ist in Sachen Soziokultur nicht alles Sonnenschein. Abgesehen davon, dass die Zentren in der Regel im Vergleich zu anderen etwa zu Theatern und Opernhäusern viel weniger staatliche Förderung bekommen, müssen sie immer wieder mit Vorbehalten aus der eigenen Nachbarschaft zurechtkommen. Diese Erfahrung hat Holger Rodiek, Vorsitzender des Vereins Landkultur Freepsum in der Gemeinde Krummhörn in Ostfriesland, gemacht. Das Veranstaltungszentrum existiert seit dem Jahr 2007 und wird komplett ehrenamtlich betrieben. Rodiek kennt die üblichen Vorbehalte: angeblich zugeparkte Straßen sowie Lärm der Besucher bei der An- und Abfahrt zum Beispiel. Sein Fazit: „In kleinen Einheiten funktioniert so was nicht.“ Entsprechend seien der Einzugsbereich der Landkultur Freepsum nicht das 180-Seelen-Dorf selbst, sondern vor allem das nördliche Ostfriesland und die zehn Kilometer entfernte Stadt Emden.

Viele Zentren haben auch mit dem Generationenwechsel zu kämpfen – wie das KUZ in Osterholz-Scharmbeck. Dass in erster Linie junge Leute – wie zum Poetry Slam – kommen, sei die Ausnahme, erläutert Rolf Lübbert, Vorsitzender des gleichnamigen Trägervereines: „Unser Publikum altert mit dem Zentrum.“