Theater Erfurt und DNT Weimar

Warum die Thüringer Theaterdebatte kein Ende nimmt

Carl-Friedrich Höck16. Juni 2017
Gothe und Schiller Weimar
Goethe- und Schiller-Denkmal vor dem Deutschen Nationaltheater in Weimar: Die kleine Stadt ist stolz auf ihren Ruf als Kulturmetropole.
Für die Theater in Erfurt und Weimar gilt seit einem Jahr ein Kooperationsvertrag. Das klingt nach einem Meilenstein; Vorschläge, beide Theater enger zu verzahnen, führen seit Jahren zu Konflikten. Aber ist er es auch?

Wenn man Wolfgang Beese anruft, um mit ihm über den Theaterstreit zwischen Erfurt und Weimar zu sprechen, hört man ihn erstmal durchatmen. „Das ist eine lange Geschichte“, sagt der Erfurter SPD-Kulturpolitiker, ein Mann mit charakteristischem Schnauzer und ergrauten Locken. Für ihn sei es zudem ein trauriges Kapitel.

Teures Nebeneinander zweier Theater

Dr. Wolfgang Beese
Dr. Wolfgang Beese (Foto: privat)

Die Kurzfassung lautet so: Als langjähriger Vorsitzender des Kulturausschusses in Erfurt setzt Beese sich seit Mitte der 1990er Jahre für eine engere Zusammenarbeit des Erfurter Theaters mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar ein. Nur 25 Kilometer liegen zwischen den beiden Spielstätten. Und ihr Betrieb kostet viel Geld.

Im vergangenen Jahr sind an die Weimarer Spielstätte Zuschüsse in Höhe von mehr als 24 Millionen Euro geflossen. 19 Millionen übernahm das Land, die Stadt etwa fünf Millionen. Das Erfurter Theater hatte einen Gesamtbedarf von 18 Millionen. Nur fällt hier die Landesförderung viel geringer aus, die Stadt musste mit elf Millionen Euro den Großteil schultern.

Diese Ausgaben belasten die Stadt, und weil sie an Tarife gekoppelt sind, wachsen sie von Jahr zu Jahr. Immer wieder poppen in Erfurt die Fragen auf: Können wir die Mehrausgaben noch stemmen? Ist ein großes und ambitioniertes Theater auf Dauer überlebensfähig, wenn die Konkurrenz wenige Kilometer weiter sitzt? Können die Theater nicht mehr zusammen arbeiten, zu beiderseitigem Nutzen?

Fusion unerwünscht

Im Jahr 1996 machte Beese Schlagzeilen mit einem Vorschlag: Erfurt könne sich auf eine Staatsoper spezialisieren und Weimar auf das Schauspiel. Ein Orchester könnten sich dann beide Häuser teilen. „Viele Fachleute haben meinen Vorschlag begrüßt, aber sie standen nicht mehr dazu, als ich in der Presse gehängt wurde“, sagt Beese über diese Zeit. Der Vorstoß scheiterte am Gegenwind der Öffentlichkeit. Aber die Idee war in der Welt.

Seitdem wird die Debatte alle paar Jahre wieder geführt. Die diskutierten Modelle variieren, doch der Kern der Idee blieb der Gleiche: Kooperation oder gar eine Fusion beider Theater sowie eine Arbeitsteilung.

Alle Jahre wieder

Einige Stationen der Debatte: Im Jahr 2002 beschloss der Erfurter Stadtrat, die Schauspielsparte zu schließen. Damals hatte das Land eine Fusion der Theater angestrebt. Doch der Vertrag scheiterte einen Tag später am Veto des Weimarer Stadtparlamentes. Das Spiel wiederholte sich 2007: Das Land Thüringen wollte die Spielstätten in einer Holding zusammenführen, aber die beiden Häuser wollten auf ein eigenes Musiktheater und Orchester nicht verzichten. Wieder scheiterte das Vorhaben.

Im Jahr 2015 schließlich stellte der neue Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke) ein Perspektivpapier für die Thüringer Theater vor. Er wollte die Finanzierung der Thüringer Theater auf eine langfristige Basis stellen. Und er stellte mehrere Modelle zur Diskussion. Eines sah vor, das Orchester Erfurt und die Staatskapelle Weimar organisatorisch abzutrennen und in Landesträgerschaft zu überführen. Ein anderes brachte gar ein „Thüringer Staatstheater Weimar-Erfurt“ ins Gespräch.

Historische Animositäten

Weimars Oberbürgermeister Stefan Wolf
Weimars Oberbürgermeister Stefan Wolf (Foto: Stadt Weimar)

Wer die Konfliktlage verstehen will, muss die besondere Bedeutung des Deutschen Nationaltheaters Weimar kennen. Johann Wolfgang Goethe persönlich war der erste Leiter des Hauses, Friedrich Schiller inszenierte hier die meisten seiner Dramen. Die Bewohner der Stadt Weimar sind stolz auf diese Tradition und ihren internationalen Ruf als Kulturstadt.

Zugleich pflegen die Weimarer ein Misstrauen gegenüber der benachbarten Landeshauptstadt. Das hat zum einen historische Gründe: Thüringen war einst in viele kleine Fürstentümer unterteilt. Das prägt bis heute die kulturelle Infrastruktur, aber auch die Mentalität vieler Thüringer. Von „historischen Animositäten“ spricht der Weimarer Oberbürgermeister Stefan Wolf (SPD) im Gespräch mit der DEMO.

Ein anderer Grund: Mit 64.000 Einwohnern ist Weimar deutlich kleiner als die benachbarte Landeshauptstadt (200.000). Das nährt Befürchtungen, sich künftig unterordnen zu müssen. „Was Kooperationen betrifft, gehen wir sehr weit“, sagt Stefan Wolf. Doch er sei sehr vorsichtig, wenn institutionelle Veränderungen diskutiert würden, gar eine Fusion. „Wer zahlt, bestimmt“, meint Wolf. Der zahlungskräftigere Partner wäre die Stadt Erfurt.

Weder Erfurt noch Weimar wollen verzichten

Als der neue Kulturminister die Theaterdebatte wieder eröffnet hatte, gründete sich im September 2015 die Bürgerinitiative „Kein halbes DNT“. Auf ihrer Facebookseite fordert die Gruppe: „Der Kahlschlag gegen das Musiktheater am DNT darf nicht gelingen. Unsere Oper bleibt hier!“

Auch der Oberbürgermeister weist Gedankenspiele, Erfurt die Opernsparte zu überlassen, entschlossen zurück. „Wir haben hier ein Opernhaus, für diesen Zweck ist es gebaut worden.“ Da könne man sich doch jetzt nicht auf ein Sprechtheater beschränken.

Die Erfurter Oper
Moderner Bau: Die Erfurter Oper (Foto: Theater Erfurt/Lutz Edelhoff)

Ähnlich kann die Stadt Erfurt argumentieren: Sie verfügt über ein neu gebautes Opernhaus mit modernen Glasfassaden. Eröffnet wurde es 2003, ein Jahr, nachdem das Ende der Schauspielsparte besiegelt worden war.

Kooperationsvertrag zwischen Erfurt und Weimar

Am Ende der Debatte geschah das, was Kulturminister Hoff ursprünglich vermeiden wollte: Der Status quo wurde für weitere Jahre festgeschrieben, inklusive steigender Zuschüsse des Landes. Der Freistaat hat mit beiden Städten und Theatern eine Finanzierungsvereinbarung abgeschlossen, die bis 2024 gilt.

Immerhin haben alle Beteiligten eine Kooperationsvereinbarung unterschrieben. Vereinzelt gab es bereits eine Zusammenarbeit, die 2016 in der gemeinsamen Produktion einer Oper, „die Meistersinger von Nürnberg“, gipfelte. Der Kooperationsvertrag soll diese Zusammenarbeit verstetigen, wie eine Sprecherin des Kulturministeriums mitteilt: „Dies betrifft neben gemeinsamen Produktionen und Gastspielen auch Abstimmungen in den Bereichen  Presse- und Öffentlichkeitsarbeit oder Werkstätten. Ziel ist es dabei, vorhandene Ressourcen noch besser zu nutzen und damit künstlerisch wie wirtschaftlich noch erfolgreicher zu sein. Die künstlerische Freiheit der Intendanten bleibt unangetastet.”

Was ist die Einigung wert?

Weimars OB Wolf bewertet die Vereinbarung und die gemeinsame Produktion der „Meistersinger” als neuen Schritt in der Zusammenarbeit. So etwas habe es zuvor nicht gegeben.

Die Meistersinger Theater Erfurt
Aufführung von „Die Meistersinger”. Foto: Theater Erfurt/Lutz Edelhoff

Der Erfurter Kommunalpolitiker Beese dagegen meint: „Das Kooperationspapier verdient seinen Namen nicht.“ Den Kooperationsfonds beispielsweise habe er selbst ins Gespräch gebracht und an eine mittlere sechsstellige Summe gedacht. „Mit dem Fonds sollte überhaupt erstmal etwas in Gang kommen, damit die Leute spüren, was Kooperation bedeutet.“ Jetzt enthält der Fonds nur 30.000 Euro. Viel zu wenig, meint Beese.

„Die Animositäten zwischen Erfurt und Weimar sind nicht wirklich rational“, sagt der Erfurter. Zumindest habe man jetzt einen festgelegten Förderzeitraum und könne über mehrere Jahre planen. Das Land habe auch zugesagt, steigende Lohnkosten mitzufinanzieren. „So viel Sicherheit hatten wir noch nie“, betont Beese.