Perspektiven

Energiewende ohne klare Richtung: Stromnetze kommunal oder privat?

Für eine gelingende Energiewende kann es sinnvoll sein, Stromnetze zu rekommunalisieren. Auf welche Stolpersteine Kommunen achten sollten und warum auch der Gesetzgeber gefragt ist, erklärt Thorsten Reppert. Er ist Doktorand an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

von Thorsten Reppert · 20. August 2025
Strommast vor Sonnenlicht

Ein Hochspannungsmast in Brandenburg: Viele Kommunen denken darüber nach, ihr Stromnetz wieder zu rekommunalisieren.

2011 markiert für die deutsche Energiewende einen Wendepunkt. Nach der Fukushima-Katastrophe schien sich kurzzeitig ein breiter Konsens zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu bilden, um den Übergang zu einer nachhaltigen Energieversorgung zu beschleunigen.

Viele Kommunen standen damals vor der Entscheidung, ihr Stromnetz in kommunale Hand zurückzuführen oder diese Aufgabe weiterhin privaten Anbietern zu überlassen. Viele Kommunalpolitiker*innen führen die Ereignisse von Fukushima als Beweggrund für diese Überlegungen an. Doch neben der politischen Verantwortung spielte auch die Hoffnung auf finanzielle Vorteile für die Stadtkassen eine zentrale Rolle.

Ein Auslöser war die Reform des Energiewirtschaftsgesetzes. Viele Städte verstanden sie als Signal, eine führende Rolle in der Energiewende zu übernehmen und private Großkonzerne wie E.ON oder RWE abzulösen. Doch der anfänglichen Euphorie folgte schnell die Ernüchterung: Auch über ein Jahrzehnt später dominieren diese Unternehmen mit ihren Tochtergesellschaften den Markt. Prominente Fälle wie Hamburg oder Stuttgart blieben Ausnahmen. Eine breite Welle der Rekommunalisierung blieb aus.

Stolpersteine auf dem Weg zur Rekommunalisierung

Die schleppende Entwicklung erklärt sich durch zahlreiche Unsicherheiten und Hürden. Vergabeprozesse für die Stromnetze sind komplex: Zwar können die Gemeinden die Vergabekriterien vorab festlegen, doch ist dies nur in einem begrenzten Rahmen möglich. Die Vergabe muss nach öffentlicher Ausschreibung fair und diskriminierungsfrei ablaufen.

Was formell erst einmal einfach klingt, bietet viel Angriffsfläche für rechtliche Einsprüche. Da Gemeinden, die eine Rekommunalisierung anstreben, sich mit ihren eigenen Stadtwerken auf die Ausschreibung bewerben müssen, ist eine strikte personelle Trennung wichtig. In der Praxis ist das aber nur schwer umzusetzen – besonders für kleinere Gemeinden mit wenig Personal und einer kleinen Zahl an Gemeinderäten. Dort ergeben sich fast zwangsläufig Dopplungen in Ausschüssen, Arbeitstreffen und Co., nicht zuletzt da viele Fäden in der Stadtverwaltung und beim Bürgermeister zusammenlaufen.

Selbst wenn Gemeinden diese Hürden überwinden, können kleine Fehler in den Formulierungen oder im Ablauf der Vergabe langwierige Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen. Die großen Energiekonzerne beobachten solche Verfahren genau und nutzen jede Möglichkeit, ihre Interessen zu verteidigen. Kommunen hingegen müssen oft externe juristische Beratung hinzuziehen, um die Ausschreibungen rechtssicher zu gestalten oder sich in einem möglichen Rechtsstreit zu verteidigen.

Hinzu kommen weitere Hindernisse: Oft müssen die Stadtwerke die Stromnetze vom bisherigen Netzbetreibern zurückkaufen, die meist zu den unterlegenen Bietern zählen. Da diese Betreiber oft die Herausgabe relevanter technischer Informationen verweigern, werden die Preisverhandlungen zu einer weiteren Belastungsprobe. Die fehlenden Daten führen zu stark divergierenden Preisvorstellungen, was erneut zu juristischen Auseinandersetzungen führen kann.

Ernüchterung und Risiko für die Kommunen bei Stromnetz-Entscheidungen

Solche Prozesse ziehen sich dann über viele Jahre hin und treiben die Kosten drastisch in die Höhe. In Bingen dauerte ein solches Verfahren acht Jahre, in Holzminden sogar 14 Jahre. Am Ende behielten die alten Betreiber in beiden Fällen als Teil einer außergerichtlichen Einigung Minderheitsanteile an den neuen Gesellschaften.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) fordert deshalb seit langem eine erneute Reform des Energiewirtschaftsgesetzes, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Denn bis heute ist aufgrund unterschiedlicher Rechtsprechung unklar, welche Kriterien bei Vergabeentscheidungen über das Stromnetz zulässig sind, ob fiskalische Interessen berücksichtigt werden dürfen und wer für Kosten der Netzentflechtung aufkommt. Auch die Übergabe von Netzdaten ist unzureichend geregelt.

Es gibt auch positive Beispiele für Rekommunalisierungen, bei denen rechtliche Auseinandersetzungen nur keine Rolle gespielt haben. Oft sind dies Fälle, in denen bereits im Vorfeld eine Kooperation mit den bisherigen Betreibern vereinbart wurde. So hält EnBW beispielsweise 40 Prozent der Anteile an einer Netzgesellschaft in Böblingen, während E.ON über seine Tochtergesellschaft Bayernwerk 49 Prozent in Pfaffenhofen kontrolliert.

Solche Partnerschaften helfen, technische und administrative Startschwierigkeiten zu überwinden. Denn für den Betrieb eines Stromnetzes benötigt die Gemeinde zunächst qualifiziertes Personal, und aufgrund der lückenhaften Datenlage bleibt eine langfristige Kostenabschätzung schwierig. 

In einem Energiesystem im Wandel ist eine verlässliche Prognose über zukünftige Einnahmen nahezu unmöglich. Da ein stetiger Anstieg der Stromnebenkosten absehbar ist, geraten die bundespolitischen Ziele, die Strompreise zu senken, zunehmend in einen Konflikt mit den notwendigen Investitionen in die Infrastruktur. Höhere Ausgaben lassen sich für die Kommunen aber nur stemmen, wenn entsprechende Einnahmen durch Netzentgelte generiert werden. Die Rechnung bleibt für viele Gemeinden damit ein Wagnis, das sie nur durch eine breite Verteilung der Lasten eingehen können.

Auf der Suche nach Klarheit und Unterstützung

Hinter diesen Problemen steckt ein grundsätzliches Dilemma: Seit 2011 bleibt unklar, ob die Energiewende dezentral durch kommunale Stadtwerke oder zentral durch private Konzerne vorangetrieben werden soll. Zwar erhielten Kommunen seitdem immer wieder entsprechende politische Signale, doch auch private Modelle werden weiterhin unterstützt. Diese Doppelstrategie erschwert langfristige Investitionen, sowohl für Kommunen als auch für private Energiekonzerne.

Mit Blick auf die 2030er Jahre, wenn fast die Hälfte der Verteilnetze neu vergeben wird, wächst der Druck: Elektroautos, Windkraft, Solaranlagen, Wärmepumpen und Speicher erfordern leistungsfähige Verteilnetze. Hierfür braucht es Planbarkeit und klare Zuständigkeiten. 

Wenn Rekommunalisierung Teil des energiepolitischen Instrumentenkastens sein soll, sind gesetzliche Anpassungen dringend nötig: klare Vergabekriterien, Transparenzpflicht für Netzdaten, eindeutige Regeln für Kaufverhandlungen und den Umgang mit Verfahrensfehlern. Zudem brauchen Kommunen Beratungsangebote, etwa von der Bundesnetzagentur, da ehrenamtliche Gemeinderäte keine Netzexperten sind.

Ohne solche Schritte wird der Anteil kommunaler Netzbetreiber kaum steigen. Der Bund muss daher festlegen, wer künftig den Netzausbau auf Verteilnetzebene verantwortet. Vage Signale reichen nicht mehr – Kommunen und Energiewirtschaft brauchen eine klare Richtung.

 

Thorsten Reppert ist Doktorand an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit der Rekommunalisierung von Stromnetzen in Deutschland.

Autor*in
Thorsten Reppert

ist Doktorand an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und befasst sich mit der Rekommunalisierung von Stromnetzen.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Noch keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar

Eingeschränktes HTML

  • Erlaubte HTML-Tags: <a href hreflang> <em> <strong> <cite> <blockquote cite> <code> <ul type> <ol start type> <li> <dl> <dt> <dd> <h2 id> <h3 id> <h4 id> <h5 id> <h6 id>
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.