Fake News und KI: Wie Bibliotheken mit neuen Entwicklungen umgehen
Bibliotheken können dazu beitragen, die Demokratie zu festigen, meint Holger Krimmer. Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Bibliotheksverbandes erklärt im Interview, wie sich das Selbstverständnis der Büchereien im digitalen Zeitalter gewandelt hat.
IMAGO / Schöning
Stadtbibliothek in Berlin-Spandau: Deutschlandweit gibt es rund 8.000 Bibliotheken
DEMO: In Berlin wurde in der vergangenen Woche der 3. Bibliothekspolitische Bundeskongress durchgeführt. Welches Thema treibt die Bibliotheken aktuell besonders um?
Holger Krimmer: Mit dem Kongress war uns wichtig, den Dialog mit der Bundespolitik zu intensivieren. Diesmal ging es vor allem um die Frage, welchen Beitrag Bibliotheken für eine lebendige Demokratie leisten. Denn Bibliotheken haben in den vergangenen 20 bis 30 Jahren eine massive Entwicklung durchlaufen. Neben dem Medienangebot hat die Bedeutung des Raums, die Bibliothek als gesellschaftlicher Ort, zugenommen: Raum für Veranstaltungen, Dialog und Verständigung. Bibliotheken sind aktive Kultureinrichtungen mit einem sehr diversen Angebot.
Die Entwicklung der vergangenen Jahre in Deutschland, genauso aber auch in anderen Ländern, hat uns vor Augen geführt, dass Demokratie kein selbstverständliches Gut ist. Sie muss immer wieder neu gefestigt werden. Bibliotheken können hier eine aktive Rolle spielen, die von der Politik bislang noch zu wenig adressiert wird.
Holger Krimmer
Die Kompetenz, Fakten von Desinformation zu unterscheiden, wird immer mehr zu einer Schlüsselkompetenz mündiger Bürgerinnen und Bürger.
Im Alltag begegnen uns zunehmend Fake News. Viele Menschen haben zunehmend Schwierigkeiten, verlässliche Informationen zu finden. Was können Bibliotheken da tun?
Es gibt pro Jahr etwa 60.000 Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Bibliotheken können keine Gatekeeper sein, die bewerten, welche Bücher geprüfte Informationen enthalten und welche nicht. Das ist auch nicht die Aufgabe von Bibliotheken. Aber wir unterstützen Menschen dabei, ihre eigene Urteilsfähigkeit zu stärken, um Informationen auf ihren eigenen Wahrheitsgehalt hin zu prüfen. Die Kompetenz, Fakten von Desinformation zu unterscheiden, wird immer mehr zu einer Schlüsselkompetenz mündiger Bürgerinnen und Bürger.
Angebote zur Schulung von Medienkompetenz spielen in Bibliotheken schon lange eine zentrale Rolle. Früher haben Bibliotheken Angebote gemacht, um das Lesen zu fördern – ergänzend zum Schulunterricht. Mit der zunehmenden Digitalisierung der Medienangebote war für uns klar, dass wir diese Medienkompetenzen auch im digitalen Bereich stärken müssen. Wichtig ist uns, dass die über 8.000 Bibliotheken in Deutschland voneinander lernen. Gerade erst hat unser Verband gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung und der Stadtbibliothek Gütersloh eine Handreichung erstellt, wie die Bibliotheken Medienbildungsangebote weiterentwickeln können. Darin geht es insbesondere um den Umgang mit Desinformation.
Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) wird in der Medienwelt immer wichtiger. Welche Auswirkungen hat das auf die Bibliotheken?
In Kürze wird die Informationsflut, die uns tagtäglich umgibt, durch mehr KI-generierte Inhalte als durch Inhalte geprägt sein, die menschlichen Ursprungs sind. KI ist gleichzeitig ein hochpotentes technisches Werkzeug wie auch ein Einfallstor für Desinformationen. Wir müssen also Zugänge schaffen und Kompetenzen stärken, damit Menschen die Chancen und Risiken von KI besser einschätzen können.
Zum anderen nutzen die Bibliotheken KI auch selbst sehr intensiv. Es gibt zum Beispiel KI-Anwendungen für die Verschlagwortung oder für die Literaturerschließung von neuen Titeln. Der Berliner Bibliotheksverbund VÖBB hat auf seiner Website einen Chatbot integriert, den man für Recherchen befragen kann.
Holger Krimmer
Aktuell sind 37 Prozent der Bibliotheken von Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen der Kommunen betroffen.
Die Finanzlage der Kommunen ist dramatisch, im vergangenen Jahr haben sie ein Rekorddefizit von fast 25 Milliarden Euro verzeichnet. Damit steigt die Gefahr, dass sie bei den Bibliotheken sparen müssen. Ist das schon spürbar?
Ja, ganz klar. Aktuell sind 37 Prozent der Bibliotheken von Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen der Kommunen betroffen. Das kann eine Haushaltssperre sein oder auch konkrete Kürzungen. Bibliotheken fallen in den Bereich der freiwilligen Leistungen. Kommunen sind also nicht verpflichtet, eine bestimmte Zahl an Bibliotheken oder Personalstellen vorzuhalten. Trotzdem ist mein Eindruck, dass die Bibliotheken in den Kommunalverwaltungen und der Politik einen großen Rückhalt haben. Es gibt Bürgermeister, die sich gegenüber der Kommunalaufsicht schützend vor die Bibliotheken stellen. Sie wissen ganz genau, was für zentrale Orte die Bibliotheken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort sind.
Gibt es alternative Finanzierungsquellen, mit denen Bibliotheken ihre Leistungen aufrechterhalten können, auch wenn der Kommune Geld fehlt?
Das ist schwierig. Der Wettbewerb um Fördergelder wird in Deutschland stärker. Zwar gibt es gute Programme von EU, Bund und Ländern wie zum Beispiel „Creative Europe“ von der EU, über die große Summen in die Kulturförderung fließen. Die Förderprogramme sind aber häufig überzeichnet. Und sie sind mit bürokratischen Auflagen versehen, weshalb man einen hohen Aufwand betreiben muss, um eine – meistens nur einmalige – Förderung zu erhalten. Für einzelne Standorte kann das sinnvoll sein. Es ist aber illusorisch anzunehmen, die kleinen und mittleren Bibliotheken könnten in den nächsten Jahren substanzielle Anteile ihres Etats fundraisen. Da braucht es – alternativlos – eine klare staatliche Grundlagenfinanzierung. Unsere Erwartung ist daher, dass die Politik die Mittel des Sondervermögens nutzt, um Bibliotheken als Infrastrukturen der Daseinsvorsorge zu stärken.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.