Gesetz zu Schuldnerberatung: Arbeitsgemeinschaft fordert Kostenfreiheit
Die Bundesregierung will mit einem Gesetz sicherstellen, dass Schuldner*innen Zugang zu einer Beratung erhalten. Ines Moers von der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung erklärt, warum der Entwurf nachgeschärft werden sollte und wie man die schwarzen Schafe der Branche erkennt.
Jens Rüßmann
Ines Moers, Geschäftsführerin Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e. V. (BAG-SB)
DEMO: Fast 1.400 Schuldnerberatungsstellen gibt es in Deutschland. Die Beratung wird in den meisten Fällen kostenlos angeboten. Wer betreibt diese Stellen und wie finanzieren sie sich?
Ines Moers: Betrieben werden die Beratungsstellen meistens von Wohlfahrtsverbänden, Verbraucherzentralen, freien Trägern oder Kommunen. Die Schuldnerberatung wird von den Kommunen finanziert und die Insolvenzberatung vom Land. Dass das Geld aus unterschiedlichen Quellen kommt, merken die Ratsuchenden in der Regel gar nicht. Inhaltlich gehört beides zusammen. Für die Schuldnerberatungsstellen ist dieser formale Unterschied aber mit Aufwand verbunden, weil sie ihre Leistungen unterschiedlich abrechnen und unterschiedliche Anforderungen erfüllen müssen. Leider gibt es in den Bundesländern teilweise sehr unterschiedliche Bestimmungen, was zu einem Flickenteppich führt, von dem wir seit Jahren fordern, dass endlich eine bundeseinheitliche Regelung geschaffen wird.
Etwa 5,5 Millionen Menschen in Deutschland gelten als überschuldet, sie können also ihre Verbindlichkeiten nicht mehr abdecken. Was sind die häufigsten Gründe?
Verschuldet sind viele Menschen, weil sie zum Beispiel einen Immobilienkredit aufgenommen oder einen Leasingvertrag unterschrieben haben. Zum Problem wird es dann, wenn ein Auslöser dafür sorgt, dass jemand seine Zahlungsverpflichtungen nicht mehr einhalten kann. Zum Beispiel Arbeitslosigkeit, eine Scheidung oder Krankheit. Es geht also häufig um einschneidende Lebensereignisse. Wir sprechen daher mehr von Überschuldungsauslösern als von Überschuldungsgründen.
Welche Lücken und Schwächen hat das bisherige Beratungssystem?
Durch die unterschiedlichen Finanzierungsstrukturen gibt es je nach Region eben auch unterschiedliche Beratungsangebote. In manchen Städten – zum Beispiel Berlin – können auch Klein(st)selbständige Personen beraten werden. In anderen Regionen – zum Beispiel in NRW – können nur Menschen kostenfrei beraten werden, die im Sozialleistungsbezug sind. Und in wieder anderen Orten – zum Beispiel Hamburg – müssen Menschen mit Arbeitseinkommen einen Eigenanteil zahlen.
Wie gesagt: ein großes Problem ist, dass es keinerlei bundeseinheitlichen Standard gibt. In manchen Kommunen haben Sie verschiedene Beratungsstellen in unmittelbarer Nachbarschaft. In anderen Gegenden müssen Sie 70 oder 80 Kilometer zur nächsten Beratungsstelle fahren. Ob und in welchem Umfang Schuldnerberatung finanziert wird, entscheiden die Kommunen. Dabei geht es aber um eine wichtige Frage: Wollen wir auch Menschen, die kurz vor einer Überschuldung stehen, einen Zugang zu Beratung ermöglichen und so verhindern, dass die Schuldensituation zum existenziellen Problem wird?
Die Bundesregierung will den Zugang zu Schuldnerberatung mit einem Gesetz neu regeln und auch Anforderungen an die Beratungsstellen festlegen. Was würde der Entwurf konkret bewirken?
Leider viel zu wenig. Im Koalitionsvertrag hatten CDU/CSU und SPD eine „kostenfreie Schuldnerberatung, die niemanden ausschließt“ vereinbart. Doch dieses Versprechen droht zu scheitern. In dem Gesetzentwurf ist eine Sicherstellungspflicht durch die Bundesländer angedacht, ohne überprüfbare Kriterien wie zum Beispiel Beratungskapazitäten oder Qualitätsstandards. Leider wird kein verbindlicher Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung geschaffen. Wir sind daher gerade intensiv im Gespräch mit der Landes- und Bundespolitik, um unsere Argumente und Alternativvorschläge vorzubringen. In denen sind wir uns übrigens erstaunlich einig mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag, Verbraucherverbänden und Gläubigern.
An welchen Stellen würden Sie den Entwurf gerne nachbessern?
An aller erster Stelle im Punkt Kostenfreiheit für die Ratsuchenden. Wenn die Beratung nicht kostenfrei ist, schließen wir gerade die Personengruppen aus, die Hilfe besonders benötigen – die armen und völlig überschuldeten Haushalte. Eines will ich betonen: Wir freuen uns grundsätzlich, dass es dank der EU nun eine Bundesgesetzgebung für die Schuldnerberatung geben wird. Wir sind jedoch überzeugt, dass der aktuelle Entwurf die Vorgaben der EU nicht ausreichend umsetzt und letztendlich eher zu einer Verschlechterung als zu einer Verbesserung führen wird, weil zentrale Fragen weiterhin nicht bundeseinheitlich geregelt sind, sondern an die Länder verwiesen werden. Der Gesetzentwurf macht auch keine Vorgaben, wie die Beratungskräfte ausgebildet sein müssen. Das ist pädagogisch und rechtlich ein anspruchsvolles Arbeitsfeld. Wer redet schon gerne mit dem Partner oder der Partnerin über fehlendes Geld oder teilt den Kindern mit, dass es mit dem Klassenausflug leider eng wird. Für diese sensiblen Lebensbereiche brauchen wir geschulte Kräfte.
Gibt es denn auch schwarze Schafe unter den Beratungsstellen?
Ja, leider. Bisher können die Bundesländer Standards für die Insolvenzberatung festlegen. Manche haben sehr gute Ausführungsgesetze und andere Länder machen nur wenig Vorgaben. Dort gibt es dann fragwürdige Beratungsangebote, die zwar nicht öffentlich gefördert werden, aber praktizieren dürfen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält immerhin zwei Hinweise: Die Beratungsstellen müssen unabhängig sein und sie dürfen nicht selbst als Kreditvermittler tätig sein. Weil bisher aber nicht klar ist, wie das in den einzelnen Bundesländern konkret umgesetzt wird, befürchten wir, dass es nach wie vor Einfallstore für unseriöse Stellen geben wird.
Wie erkennt man schwarze Schafe?
Häufig werben sie offensiv damit, wie schnell man bei ihnen einen Beratungstermin erhält und wie wenig man tun müsse, um schnell schuldenfrei zu werden. Bei solchen Aussagen sollte man vorsichtig sein. Seriöse Beratungsstellen können Sie auf www.meine-schulden.de finden. Dort kennzeichnen wir Stellen, die zum Beispiel bei einem Wohlfahrtsverband angebunden sind, eine Anerkennung als Insolvenzberatungsstelle haben oder Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung sind.
Ines Moers ist Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e.V. (BAG SB).
Weitere Informationen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Internetseite des Bundesjustizministeriums: bmjv.de
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.