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Gewalt gegen Frauen in der Politik: „Gefahr für unsere Demokratie“

Politiker*innen sind immer häufiger Zielscheibe von Angriffen. Frauen in der Politik sind besonders betroffen. Eine neue Analyse der EAF Berlin beschreibt das Ausmaß der Gewalt und leitet daraus konkrete Empfehlungen für politische Akteur*innen ab. Ein Gespräch mit der Autorin der Studie, Sarah Robinson. 

von Karin Billanitsch · 28. Oktober 2025
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Politiker*innen sind immer häufiger Zielscheibe von digitalen oder physischen Angriffen und Drohungen. Frauen in der Politik sind besonders betroffen. Eine neue Analyse der EAF Berlin beschreibt das Ausmaß der Gewalt und leitet daraus konkrete Empfehlungen für politische Akteur*innen ab.

Ihre Studie zeigt, dass Kommunalpolitikerinnen besonders häufig mit Hass, Drohungen oder digitalen Anfeindungen konfrontiert sind. Welche spezifischen Risikofaktoren sehen Sie gerade im kommunalen Bereich?

Ein entscheidender Unterschied zur Bundesebene ist das Fehlen von Anonymität. In kleineren Orten oder Landkreisen kennt man sich persönlich – man weiß, wo die Bürgermeisterin wohnt oder wo die Kinder zur Schule gehen. Diese Nähe, die sonst Vorteile haben kann, kann zur Belastung werden. Hinzu kommt, dass Kommunalpolitikerinnen oft weniger institutionelle Ressourcen und Schutzmechanismen haben, etwa Präventionsmaßnahmen oder Ansprechstellen. Das unterscheidet sich nach Partei und Bundesland. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bei ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen gibt es meist kein Social-Media-Team, das Kommentare moderiert oder ausschaltet und die Betroffene entlasten kann. Gerade in kleinen Gemeinden entsteht oft ein Gefühl von Isolation – besonders, wenn es nur wenige Frauen im Rat gibt. Und es gibt oft weniger Frauennetzwerke, welche aber Solidarität schaffen können. Diese Erfahrungen können dann zum kompletten Rückzug aus der Politik führen, als extreme Konsequenz.

Welche Maßnahmen können Verwaltungen oder Fraktionen ergreifen, um besser zu schützen?

Zunächst sollte geprüft werden, welche persönlichen Daten öffentlich zugänglich sind. Häufig stehen auf Webseiten unnötig viele Angaben, etwa Privatadressen oder Arbeitgeber. Verwaltungen können in Absprache mit den Betroffenen entscheiden, was wirklich notwendig ist. Zudem sollten Beratungs- oder Ombudsstellen eingerichtet werden, die parteiübergreifend Unterstützung bieten – auch für Parteilose. Dort können Notfallkontakte und spezialisierte Polizeidienststellen vermittelt werden, oder auch auf staatliche Angebote, wie die „Starke Stelle“, hingewiesen werden.

Wichtig ist auch öffentliche Solidarität. 60 Prozent der betroffenen Frauen wünschen sich, dass sie nicht allein gelassen werden, dass Diskriminierung und Gewalt offen benannt werden. Ratsmitglieder und Parteien können Haltung zeigen und sich solidarisch zeigen. Mittelfristig sind Schulungen zu respektvoller Kommunikation, Konfliktmanagement, Sexismus und Gleichstellung sinnvoll. Sensibilisierung bedeutet nicht, dass man nichts mehr sagen darf, sondern dass Grenzen trotz strittiger Debatten respektiert werden.

Sie sprechen von einem kulturellen Wandel. Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll den Umgang miteinander verbindlicher zu regeln?

Ja, Kommunen können zum Beispiel Verhaltenskodizes in ihre Satzungen aufnehmen. Wenn sie verbindlich sind, lassen sich bei Verstößen Maßnahmen wie Ordnungsrufe ergreifen. Eine geschulte Sitzungsleitung kann Regelverstöße erkennen und sanktionieren. Die Körber-Stiftung berät Kommunen zum Thema Verhaltenskodexe, und auch die EAF Berlin wird im kommenden Jahr Handlungsempfehlungen zur Verfügung stellen.

Wahlkämpfe gelten als besonders konfliktträchtig. Wie können Parteien und Kommunen Kandidatinnen stärken?

66 Prozent der Frauen berichten, dass sie sich auf Angriffe nicht vorbereitet fühlen, das hat Hate Aid zum Beispiel für das Netz untersucht. Präventions- und Sensibilisierungsworkshops für Kandidierende helfen, kritische Situationen früh zu erkennen. Dazu zählen auch Medientrainings– etwa zum Umgang mit Hass im Netz, zu Gegenrede oder zur Unterstützung anderer Betroffener. Das stärkt das Sicherheitsgefühl und gibt ein Stück Handlungsmacht zurück.

Im analogen Wahlkampf kann das zum Beispiel bedeuten, nicht allein plakatieren zu gehen oder einen Notfallleitfaden in einem Postkarten-oder Flyer-Format mit Anlaufstellen dabei zu haben. Das kann zum Beispiel auch eine Verwaltung bereitstellen, und einmal für die Region recherchieren, damit das wirklich auch spezifisch ist. Rechtliche Aufklärung ist ebenfalls wichtig, damit man in Stresssituationen überlegt reagieren kann. 

Uns als EAF Berlin ist auch wichtig, Mentoring-Programme und Frauennetzwerke zu nennen, als ganz wichtige Ressource, bei der Neueinsteigerinnen von den Erfahrungen und Bewältigungsstrategien von erfahreneren Politikerinnen lernen können. Man kann in solchen Räumen Strategien teilen und sich gegenseitig unterstützen. Gerade auch potenzielle Kandidatinnen können dann Sorgen und Ängste, die sie möglicherweise im Hinblick auf den Umgang mit Anfeindungen haben, vertraulich und persönlich besprechen. 

Viele Betroffene empfinden juristische Reaktionen als unzureichend. Was wäre notwendig?

Laut dem kommunalen Monitoring des MOTRA empfindet die Mehrheit der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte sich unzureichend geschützt. Es braucht spezialisierte Anlaufstellen mit geschultem Personal, das politisch motivierte Straftaten erkennt und ernst nimmt, statt sie als privaten Konflikt oder Bestandteil des Engagements abzutun. Polizei und Justiz müssen sensibilisiert werden: Gewalt gegen Frauen, und insbesondere in der Politik, ist auch eine Gefahr für unsere Demokratie.

Wie reagieren Betroffene, und wie können sie die Situation bewältigen?

Die Reaktionen sind unterschiedlich. Viele ignorieren Anfeindungen, rund 70 Prozent betroffener Frauen suchen Unterstützung – vor allem im privaten Umfeld oder bei Parteikolleginnen und Kollegen. Nur etwa ein Prozent nutzt professionelle Beratungsstellen, weil diese oft unbekannt sind. Hilfe von außen – durch Zivilgesellschaft, Justiz oder Polizei – kann helfen, Abstand zu gewinnen, Vorfälle einzuordnen und ermutigen, Anzeige zu erstatten. Das wirkt auch der Normalisierung oder Straflosigkeit solcher Gewalt entgegen. 

Besonders häufig reagieren Frauen mit Rückzug oder verändertem Verhalten, was tragisch ist. Frauen sind ohnehin unterrepräsentiert in der Politik auf allen Ebenen. Die Gesellschaft sollte das nicht einfach so abtun, weil damit in der Konsequenz der demokratische Diskurs erheblich eingeschränkt wird.

Welche gesetzlichen Änderungen fordern Sie?

Für besseren Schutz braucht es rechtliche Nachschärfungen, etwa bei der Melderegisterauskunft – hier sollte einheitlich und niedrigschwelliger geregelt sein, wie eine Sperrung der Daten für die gesamte Mandatsdauer umgesetzt werden kann. Auch das digitale Strafrecht muss reformiert werden, insbesondere beim Umgang mit bildbasierter Desinformation und Deepfakes, die oft sexualisierte Gewalt enthalten. Zwar existiert mit §188 StGB ein spezieller Schutz für Politikerinnen und Politiker, doch die Hürden für Strafverfolgung sind sehr hoch. Täter nutzen diese Grauzonen, weshalb Nachbesserungen dringend nötig sind.

Mehr Informationen:

Die EAF Berlin ist eine unabhängige und gemeinnützige Forschungs- und Beratungsorganisation. Seit 1996 arbeitet die EAF Berlin an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu den Themen Chancengleichheit und Vielfalt in Führung. Ein Schwerpunkt der EAF Berlin liegt auf der Förderung der politischen Partizipation von Frauen in nationalen und internationalen Projekten. Die EAF Berlin konzipiert und realisiert praxisnahe Forschungsprojekte und Studien sowie innovative Programme und Trainings. 

Zum Projekt: 

Das Projekt “3R – Recognize, Resist, Rise Up“ (2025–2027) der EAF Berlin stärkt Frauen in der Politik, die Hass, Hetze und geschlechtsbasierte Gewalt erfahren. Mit Analysen, Workshops für Betroffene und Handlungsempfehlungen für Politik und Parlamente fördert 3R gleichberechtigte Teilhabe. Das Projekt wird durch die EU-Kommission unterstützt und gemeinsam mit Partnerorganisationen in Tschechien, Ungarn, Irland und der Slowakei durchgeführt. https://www.eaf-berlin.de/was-wir-tun/modellprojekte/projekt/3r-recognize-resist-rise-up

Zur Autorin: 

Sarah Robinson ist Menschenrechtsexpertin und bei der EAF Berlin als Senior Expert Gender & Politics tätig. Sie ist für das Projekt 3R, internationale Kooperationen und Vielfaltsthemen in der Politik zuständig.

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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