Hilferuf der Landeshauptstädte an Kanzler und Länder
Die Oberhäupter der deutschen Hauptstädte haben in einem offenen Brief auf die desolate Finanzsituation der Kommunen aufmerksam gemacht. Sie fordern, die kommunale Finanzausstattung grundlegend zu verbessern.
Imago
Von München bis Kiel: Die Oberhäupter aller Landeshauptstädte appellieren an den Kanzler und die Regierungschefs der Länder, um eine Neuordnung der kommunalen Finanzausstattung zu erreichen. Das Bild zeigt den Marienplatz in der bayerischen Landeshauptstadt.
In einem bemerkenswerten Schulterschluss appellieren die Oberbürgermeister*innen aller Landeshauptstädte in Deutschland an Kanzler Friedrich Merz und die Regierungschef*innen der Länder:
In einem offenen Brief machen sie auf grundlegende Strukturprobleme der kommunalen Finanzierung aufmerksam und fordern eine „Neujustierung der Grundsätze der kommunalen Finanzausstattung“.
„Aufgaben werden übertragen, ohne dass ein angemessener finanzieller Ausgleich erfolgt. Dies führt zu immer größeren Belastungen der kommunalen Haushalte“, fassen die Kommunalpolitiker*innen in dem Schreiben zusammen, das der DEMO vorliegt. Allein 2024 habe das kommunale Finanzierungsdefizit bei 24,8 Milliarden Euro gelegen – dem höchsten Wert seit 1990. Haupttreiber der Kosten seien steigende Sozialausgaben (insbesondere Sozialhilfe, Kinder- und Jugendhilfe sowie Eingliederungshilfen) und wachsende Personalkosten infolge von Tarifsteigerungen.
„Schere öffnet sich weiter“
Rund 95 Prozent dieser Soziallasten würden Landkreise, kreisfreie Städte und kommunale Verbände tragen, beklagen die Stadtoberhäupter von Kiel bis München und von Saarbrücken bis Dresden. Daneben seien die Kommunen unter anderem beim Krankenhausbetrieb und beim ÖPNV (Deutschlandticket) unterfinanziert, heißt es in dem Brief weiter. „Die Schere zwischen kommunalen Einnahmen und Ausgaben öffnet sich damit immer weiter.“
Hintergrund: Im Grundgesetz ist das sogenannte Konnexitätsprinzip festgelegt, wonach Kommunen für ihnen übertragene Aufgaben auch eine auskömmliche Finanzierung erhalten müssen. Doch das gilt nur auf Länderebene – nicht für die Übernahme von Aufgaben des Bundes, informierte die Stadt München auf Anfrage der DEMO. Das habe vor Kurzem ein von der Landeshauptstadt Stuttgart beauftragtes Rechtsgutachten des Würzburger Verfassungsrechtlers Professor Kyrill-Alexander Schwarz untermauert. Daher hätten sich nun die Oberbürgermeister*innen zu diesem dringenden Appell an Bund und Länder entschlossen, hieß es.
Wer bestellt, muss bezahlen
„Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, in jedem Gesetzentwurf, der künftige Belastungen für kommunale Ressourcen nach sich zieht, von vornherein eine vollständige und angemessene Kompensation vorzusehen“, heißt es in dem Brief außerdem. Der kommunale Anteil an der Umsatzsteuer müsse so angepasst werden, dass bestehende Mehrbelastungen durch Bundesgesetze ausgeglichen werden. Sollte dies nicht möglich sein, müssten die Kommunen auf anderem Wege entlastet werden.
Kredite, die die Kommunen aufnehmen müssen, um ihren Aufgaben nachzukommen, müssten von Bund und Ländern übernommen werden. An die Landesregierungen ging zudem der Appell, im Bundesrat künftig Bundesgesetzen nur dann zuzustimmen, wenn die kommunale Finanzierung gesichert sei.
Reiter: „Kommunen mit Kosten allein zu lassen, geht gar nicht“
„Eigentlich sollten diese Grundsätze in der Zusammenarbeit selbstverständlich sein – sind sie aber nicht. Seit Jahren erleben wir eine stetige Aufgabenhäufung bei den Kommunen durch Bund und Länder, ohne dass eine entsprechende finanzielle Ausstattung sichergestellt wird“, kritisierte der OB von München, Dieter Reiter (SPD). Der Bund schaffe, weil es bei „den Bürgerinnen und Bürgern gut ankommt“, neue Rechtsansprüche – etwa für die Kinderbetreuung, den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen oder beim Wohngeld.
Das sei inhaltlich richtig und gesellschaftlich wichtig, betonte Reiter. Aber dann müsse der Bund auch die finanziellen Mittel bereitstellen, die für die Umsetzung erforderlich sind, konstatierte er. „Nur den Rechtsanspruch zu schaffen, die Verantwortung jedoch auf die Kommunen abzuwälzen und sie mit den Kosten allein zu lassen, geht gar nicht.“ Dass die Hauptstädte aller Flächenländer nun an einem Strang ziehen, ist für Reiter ein wichtiges Signal. Er hofft auf ein Umdenken bei Bund und Ländern – „hin zu einer fairen Aufgabenteilung, bei der Verantwortung und Finanzierung im Gleichgewicht stehen.“
Kämpfer: „Brauchen faire und verlässliche Finanzierung“
Auch der Kieler OB Ulf Kämpfer unterstreicht die Forderungen: „Kiel wächst, wir investieren in Schulen, Kitas, den Klimaschutz und eine moderne Mobilität – doch unsere finanziellen Spielräume schrumpfen dramatisch, weil Bund und Länder uns immer mehr Aufgaben übertragen, ohne für deren Finanzierung zu sorgen.“ So könne Kommunalpolitik auf Dauer nicht funktionieren. „Wir brauchen endlich eine faire, verlässliche Finanzierung – damit Kiel weiterhin handlungsfähig bleibt.“
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.