Hubertz: „Der Bau-Turbo ist nicht das Ende der Stadtplanung“
In einem Webinar hat Bundesbauministerin Verena Hubertz erklärt, was sich mit dem Bau-Turbo für die Kommunen verändert. Das Interesse der Bürgermeister*innen und Stadtplaner*innen war groß. Die DEMO fasst die wichtigsten Aussagen zusammen.
IMAGO / Steinach
Der Bau-Turbo soll Wohnungsbauvorhaben beschleunigen (Symbolbild, Fotomontage)
Verena Hubertz hatte offenbar keine Zeit zu verlieren. Am Freitagvormittag hat der Bundesrat das Bau-Turbo-Gesetz gebilligt. Direkt im Anschluss stellte sich die Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen in einem Webinar den Fragen von Kommunalpolitiker*innen, Architekt*innen und Stadtplaner*innen. Das Interesse an der Online-Konferenz war riesig: Rund 2.500 Personen hatten sich für die Online-Konferenz angemeldet oder verfolgten sie im Livestream.
Eine Sorge wischte die SPD-Politikerin gleich zu Beginn weg: „Der Bau-Turbo ist nicht das Ende der Stadtplanung“, betonte Hubertz.
Was ist der Bau-Turbo?
Hubertz bezeichnete ihn als „Brechstange“, die der Bund den Kommunen an die Hand gebe, und als „Experiment“. Konkret: Im Baugesetzbuch wird ein Paragraf 246e geschaffen. Er erlaubt es den Kommunen, von den Vorgaben des Bauplanungsrechts weitreichend abzuweichen. Somit können bestimmte Bauprojekte genehmigt werden, ohne dass die Kommune einen Bebauungsplan aufstellen muss. Denn das, so Hubertz, dauere im Durchschnitt fünf Jahre. Mit dem Bau-Turbo soll eine dreimonatige Prüfung durch die Kommune ausreichen, um Baurecht zu schaffen. Der Bau-Turbo ist bis Ende 2030 befristet. Er gilt bundesweit, also nicht nur in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten.
Welche weiteren neuen Regelungen wurden geschaffen?
Ein weiterer Baustein in dem Gesetz ist der Paragraf 31 Absatz 3 Baugesetzbuch. Er zielt auf Gebiete, in denen es bereits einen Bebauungsplan gibt. Mit dem neuen Paragrafen können Kommunen über die Vorgaben des Bebauungsplans hinausgehen. Bestehende Wohngebäude können so leichter aufgestockt oder erweitert werden, auch wenn die bisher geltende Traufhöhe dann überschritten wird.
Der ebenfalls neue Paragraf 34 Absatz 3b im Baugesetzbuch erweitert die Möglichkeiten, im unbeplanten Innenbereich nachzuverdichten. Das sei besonders im ländlichen Raum interessant, erklärte die Ministerin. Man wolle „pragmatisch vorangehen“ und zum Beispiel ein Haus in der zweiten Reihe ermöglichen.
Gilt der Bau-Turbo nur für Wohnungen?
Laut Hubertz ist der Bau-Turbo nicht nur auf den Wohnungsbau ausgerichtet, sondern auch auf soziale und kulturelle Einrichtungen oder den täglichen Bedarf. Das könne „die Kita, Schule, Stadtteilbibliothek oder auch der Laden um die Ecke sein“. Auch Unterkünfte für die Bundeswehr dürfen mit dem Turbo geschaffen werden. Für anderes Gewerbe wie zum Beispiel eine Chemiefabrik sei das Gesetz aber nicht gedacht.
Wird es noch Bürgerbeteiligung geben?
Laut Verena Hubertz „ganz klar ja“. Die ansonsten geltende Zustimmungsfrist von drei Monaten könne auf vier Monate verlängert werden, wenn die Kommune die Öffentlichkeit beteiligen wolle. Somit bleibe Zeit, um Dialogveranstaltungen, Bürgerwerkstätten und ähnliche Formate umzusetzen.
Wie wird der Umweltschutz gewährleistet?
Die Bauministerin beteuerte: Denkmalschutz, Brandschutz oder auch die Umweltverträglichkeitsprüfung werde es weiterhin geben. Letztere soll aber schneller und pragmatischer ablaufen, Hubertz sprach von einer „überschlägigen“ Prüfung. Wenn zum Beispiel eine Straßenseite schon bebaut sei und auf der gegenüberliegenden Straßenseite befinde sich noch eine Brachfläche, dann müsse nicht die komplette Umweltverträglichkeitsprüfung von vorne loslaufen – sofern auf dem unbebauten Grundstück keine Biotope zu erwarten seinen, die bisher nicht wahrgenommen wurden. Die untere Naturschutzbehörde könne „mit einem positiven Blick“ da herangehen und müsse das Gebiet nur dann „auf Herz und Nieren prüfen, wenn es dafür eine Indikation gibt.“
Wer entscheidet über die Zustimmung zum Baurecht?
„Der Gemeinderat entscheidet über die Zustimmung“, stellte Hubertz klar. Je nachdem, was das Kommunalrecht des jeweiligen Bundeslandes vorsieht, könne der Gemeinderat die Entscheidung aber auch an die Verwaltung delegieren, also zum Beispiel an einen Baudezernenten.
Was ändert sich beim Lärmschutz?
Die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (TA Lärm) regelt, wie laut es zum Beispiel neben einem Musikclub oder Gewerbebetrieb sein darf, wenn dort Wohnungen stehen. Die bisherigen Regelungen werden flexibilisiert. Bisher müssten die Geräuschpegel von außen gemessen werden, erklärte Hubertz. Das diene dazu, dass die Bewohner*innen auch bei offenem Fenster vor Lärm geschützt werden. Mittlerweile gebe es aber innovative Lösung wie das „Hamburg-Fenster“, das auch noch vor Lärm schütze, wenn es auf Kipp stehe.
Spart der Staat mit dem Bau-Turbo Geld?
„Wir haben errechnet, dass wir Verwaltungsaufwand von 1,7 Milliarden Euro jährlich einsparen können“, berichtete die SPD-Politikerin. Natürlich könne auch zusätzliche Arbeit auf die Verwaltungen zukommen, nämlich dann, wenn der Bau-Turbo zu insgesamt mehr Bauvorhaben führt. Darüber allerdings würde sie sich freuen, sagte Hubertz.
Wie werden die Kommunen bei der Einführung begleitet?
Ein Umsetzungslabor soll die Kommunen unterstützen und praktische Erfahrungen zusammentragen. Bereits am 10. November plant das Bauministerium dazu eine weitere Veranstaltung, eine „bundesweite Bau-Turbo-Werkstatt“.
Sind weitere Gesetze oder Anpassungen geplant?
Das Bauministerium arbeitet weiterhin an einer umfangreichen Baugesetzbuch-Novelle. Damit wolle die Regierung das Bauen auch fernab von Experimentierklauseln beschleunigen und digitalisieren, erklärte Hubertz. Den Städten stellte sie auch neue Instrumente im Kampf gegen Schrottimmobilien in Aussicht.
Weitere Informationen des Bauministeriums:
umsetzungslabor-bauturbo.de
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.