Coße über Kommunalpartnerschaften: „Bereicherung für beide Seiten”
Der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Jürgen Coße erklärt, was kommunale Partnerschaften für den Zusammenhalt in Europa leisten und wo deutsche Kommunen von ihren Nachbarn lernen können.
Dirk Bleicker
Jürgen Coße war 2009 bis 2017 stellvertretender Landrat und anschließend bis 2022 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kreis Steinfurt. Aktuell macht er im Bundestag Politik.
DEMO: Sie waren stellvertretender Landrat und SPD-Fraktionsvorsitzender im Kreis Steinfurt. Dieser pflegt Verbindungen mit dem Landkreis Mecklenburgische Seenplatte und mit der Region Telšiai in Litauen. Welchen Wert haben diese?
Jürgen Coße: Es ist eine Bereicherung für beide Seiten, wenn Menschen mit unterschiedlicher Kultur und unterschiedlichen historischen Erfahrungen sich austauschen. Bei unseren Partnerschaften haben auch die Verwaltungen miteinander kooperiert. Die Mitarbeiter aus Steinfurt konnten in den Partnerkreisen hospitieren und umgekehrt. Litauen ist erst 1990 frei und unabhängig geworden. Für mich war es lehrreich mit Menschen zu sprechen, die aus einer Situation kamen, wo es keine Demokratie gab, keine Presse- und Redefreiheit. Noch 1991 versuchte die Rote Armee, die Kontrolle über Litauen zurückzugewinnen. Die Einschusslöcher am Parlament sind immer noch da. Ich habe sie bei einer Führung gesehen. Das macht etwas mit einem. Viele Menschen in Litauen, Estland oder Lettland sind mit ganzem Herzen Europäer. Sie zu treffen, führt einem vor Augen, dass wir mit unseren europäischen Werten nicht allein sind.
Und wie haben Sie die Partnerschaft mit dem Kreis Mecklenburgische Seenplatte erlebt?
Spannend war, dass sich unser CDU-Landrat bestens mit dem damaligen Landrat von der Linken verstanden hat – das galt eigentlich als undenkbar. Was ich gelernt habe: Durch die direkte Begegnung kann man ein besseres Verständnis für andere Situationen und politische Erfahrungen ableiten. Durch den kommunalen Austausch entstehen neue Verbindungen, zum Beispiel zwischen Schützenvereinen oder im Posaunenchor. Ich glaube, dass das den Zusammenhalt in Deutschland stärkt.
Der Kreis Steinfurt gehört der EUREGIO an – was ist das?
Das ist ein grenzüberschreitender Kommunalverband. Er wurde 1958 gegründet, nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals sind Bürgermeister aus Lingen, Bocholt, Rheine und aus den Niederlanden auf die Idee gekommen: Lasst uns zusammenarbeiten, sodass wir uns nie wieder gegenseitig die Köpfe einschlagen. Die Niederländer haben uns die Hand gereicht. Anfangs waren beide Seiten noch durch eine Grenze mit Schlagbäumen und Kontrollen getrennt. Das Schengen-Abkommen hat das geändert. Dadurch konnte sich meine Region auch wirtschaftlich aufwärts entwickeln.
Wie funktioniert die EUREGIO?
Wir arbeiten zusammen, machen gemeinsame Projekte. Ein Beispiel: Wir haben festgestellt, dass die Niederländer weniger Probleme mit multiresistenten Krankenhauskeimen hatten als wir. Also haben wir im Rahmen der Partnerschaft überlegt: Was können wir von euch lernen? Heute gibt es auch in Deutschland überall Hygieneärzte und man weiß in den Altersheimen, wie wichtig es ist,sich die Hände zu desinfizieren. Ein anderes Beispiel ist das Geiseldrama von Gladbeck 1988. Als die Täter über die niederländische Grenze fuhren, mussten die deutschen Polizeiautos auf die Bremse treten. In Bocholt entstand später die erste deutsch-niederländische Polizeistation. Man kann noch bei vielen weiteren Themen zusammenarbeiten, etwa beim Katastrophenschutz. Wenn es auf niederländischer Seite brennt, kann unter Umständen ein deutsches Feuerwehrauto sogar schneller da sein.
Wie wichtig ist die kommunale Ebene für die europäische Integration?
Es gibt nicht ohne Grund einen europäischen Rat der Gemeinden und Regionen. Europa wird nicht in Brüssel gemacht, Europa wächst vor Ort. Wenn Kommunen erlebbar machen, was ein geeintes Europa bedeutet, dann ist auch das Fundament der europäischen Idee stark. Noch bevor es die EU oder die EWG gab, wurden die ersten deutsch-französischen Partnerschaften gegründet. Heute gibt es davon mehr als 2.000. Deutschland und Frankreich galten früher als Erzfeinde. Die europäische Einigung hat uns mehr als 70 Jahre Frieden gebracht.
Sie sind Vorsitzender der Parlamentariergruppe Zentralafrika im Deutschen Bundestag. Warum ist es wichtig, dass Deutschland und Afrika auf vielen Ebene zusammenarbeiten?
Wir können die Globalisierung nicht aufhalten, wir können sie aber gestalten. Es gibt diesen zutreffenden Spruch: Global denken, lokal handeln! Es ergibt Sinn, dass sich deutsche und afrikanische Kommunen austauschen. Wir können erklären, wie bei uns die Kindergärten, die kommunale Energieversorgung oder die Kanalisation funktionieren. Deutschland profitiert davon, diese Erfahrungen weiterzugeben. Wir sind eine Exportnation. Durch die enge Zusammenarbeit wächst bei den afrikanischen Partnern die Bereitschaft, deutsche Produkte zu kaufen. Aber auch der kulturelle Austausch ist wichtig, etwa die Zusammenarbeit von Schulen oder Künstlern. Wir haben in vielen Bereichen einen Arbeits- und Fachkräftemangel, etwa in der Pflege. Die Neugierde, als afrikanische Pflegefachkraft nach Deutschland zu kommen und in einem Dortmunder Pflegeheim zu arbeiten, ist größer, wenn die Person schon einmal in irgendeiner Form mit unserem Land in Berührung gekommen ist.
Dieses Interview wurde zuerst als Teil des Themenschwerpunktes „Kommunale Partnerschaften” im vorwärts-kommunal veröffentlicht.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.