Finanzalarm: Kommunen durch Bund und Länder überfordert
Ein neues Gutachten zum verfassungsrechtlichen Schutz der Kommunen vor finanzieller Überforderung stellt fest, dass die Kommunen Ansprüche auf eine auskömmliche Finanzausstattung haben. Doch dieser Schutz greife offenbar nicht, kritisiert der Deutsche Städte- und Gemeindebund.
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Die Kommunen keiden unter chronischer Unterfinanzierung und steuern 2025 auf ein neues Rekorddefizit zu. Ihre verfassungsrechtlichen Rechte auf eine angemessene Finanzausstattung greifen nicht ausreichend, macht ein neues Rechtsgutachten transparent.
Die finanzielle Lage der Kommunen spitzt sich immer mehr zu: Im Jahr 2024 gab es in Städten, Gemeinden und Landkreisen ein Rekorddefizit von 24,8 Milliarden Euro. Und nach den Prognosen der kommunalen Spitzenverbände wird sich dieses Finanzdefizit in 2025 auf minus 30 Milliarden Euro vergrößern und danach in den kommenden Jahren schrittweise weiter ansteigen.
Kern der kommunalen Selbstverwaltung unantastbar
Um die rechtliche Position der Kommunen im komplizierten Finanzgefüge von Bund, Ländern und Gemeinden auszuloten, hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund gemeinsam mit der Freiherr von Stein-Stiftung ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. In dem Papier durchleuchtet der ehemalige Bundesverfassungsrichter und Ministerpräsident a.D. Peter Müller auf mehr als 230 Seiten die verfassungsrechtlich garantierten Ansprüche der Kommunen im Rahmen des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung.
Verfassungsrechtlich sind die Kommunen Teil der Länderebene. Grundgesetzlich verbrieft ist die kommunale Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz. Kommunen sind für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich zuständig. Ihre Aufgaben dürfen zwar durch Gesetze eingeschränkt werden, solange der „Kernbestand kommunaler Selbstverwaltung“ nicht angetastet wird. Die kommunale Finanzhoheit sei „wesentlicher Teil der Selbstverwaltungsgarantie“.
Kritik: „Mehr als nur ein ausführendes Organ“
Dabei unterscheidet der Autor „zwischen dem Anspruch auf eine angemessene Finanzausstattung und dem Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung.“ Während ersterer „den kommunalen Aufgabenbestand in seiner Gesamtheit umfasst“, beschränke sich der Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung auf die Finanzierbarkeit der kommunalen Pflichtaufgaben und eines Mindestmaßes an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben. Fehle es an einer solchen „freien Spitze“, degenerierten die Kommunen zu bloßen staatlichen Verwaltungsstellen, so der Rechtsgutachter.
Hier setzt ein entsprechend wichtiger Kritikpunkt des DStGB an: „Der Träger kommunaler Selbstverwaltungshoheit muss zwangsläufig aber mehr sein als nur ein ausführendes Organ einer anderen staatliche Ebene. Wir sehen die Verpflichtung der Länder, den Kommunen eine freie Spitze zur Gestaltung zur Verfügung zu stellen, aktuell nicht erfüllt“, betonte DStGB-Präsident Ralph Spiegler am Dienstag (11. November) in Berlin während der Vorstellung des Gutachtens.
Vorwurf: Mittelkompensation bleibt aus
Er verweist auf die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre: In dieser Zeit hätten sich die Ausgaben für soziale Leistungen mehr als verdoppelt, auf zuletzt rund 80 Milliarden Euro pro Jahr. Zugleich seien die Kommunen in Deutschland aktuell mit rund 70 Prozent der Aufgaben betraut, erhielten aber nur knapp 15 Prozent der Einnahmen. „Durch die ausbleibende Mittelkompensation kommt es aus unserer Sicht vielerorts zu einer unzumutbaren Einschränkung des Rechtes auf kommunale Selbstverwaltung“, unterstrich Hauptgeschäftsführer André Berghegger.
Spiegler bringt als Lösungsvorschlag ein, einen direkten Finanzierungsweg vom Bund an die Kommunen zu schaffen. „Wir müssen über alternative Finanzierungsmöglichkeiten diskutieren, um den Städten und Gemeinden die Ausübung ihres verfassungsrechtlichen Auftrags zu ermöglichen“, fordert Spiegler. Erst kürzlich hatten die Oberbürgermeister der Landeshauptstädte in einem Brandbrief auf die Finanzmisere in den Kommunen aufmerksam gemacht.
Gutachten: Anhaltspunkte für unzureichenden Rechtsschutz
Das Rechtsgutachten beschäftigt sich darüber hinaus mit dem Rechtsschutz der Kommunen. Diese Ansprüche der Kommunen verpflichten „allein die Länder“, heißt es in dem Gutachten. Das heißt, sie müssen den Streit vor den Landesverfassungsgerichten ausfechten. Das Problem: In der Praxis entscheiden aber viele Landesverfassungsgerichte einschränkend zulasten der Kommunen.
Die verfassungsrechtlichen Finanzgarantien werden nach Meinung des Gutachters dadurch unterlaufen, dass die Mehrheit der Landesverfassungsgerichte – verkürzt gesagt – einen „generellen Leistungsfähigkeitsvorbehalt zugunsten der Länder“ annimmt. Dabei ist die finanzielle Mindestausstattung der Kommunen nach Meinung des Gutachters eben nicht abdingbar.
Außerdem stellt der Autor fest, dass in der Mehrzahl der Länder das Konnexitätsprinzip („Wer bestellt, bezahlt.”) einschränkend ausgelegt wird. Er kommt zu dem Schluss, dass die Kommunen, soweit die Landesverfassungsgerichte nur unzureichend Rechtsschutz gewährten, direkt Kommunalverfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erheben könnten, ohne den Rechtsweg über die Landesverfassungsgerichte beschreiten zu müssen. Im Detail kann das Gutachten hier eingesehen werden.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.