Sondervermögen Infrastruktur: „Die Länder halten sich eine Hintertür offen“
Kommunen müssten in vielen Ländern 80 Prozent der Mittel bekommen, kritisiert Dominique Köppen vom Deutschen Städtetag im Gespräch mit der DEMO. Warum der Gesetzentwurf zur Verteilung von 100 Millionen Euro dem kommunalen Spitzenverband nicht weit genug geht.
Frank Nürnberger
Dominique Köppen ist Beigeordneter beim Deutschen Städtetag und Leiter des Dezernats Finanzen.
DEMO: Die Finanzlage der Kommunen ist dramatisch. Im vergangenen Jahr haben die Städte, Gemeinden und Landkreise ein Defizit von mehr als 24 Milliarden Euro angehäuft. Was sind die Hauptgründe für die Misere?
Dominique Köppen: Hauptsächlich sind es strukturelle Defizite: Der Bund und die Länder haben uns Aufgaben übertragen, die nicht durchfinanziert sind. Die kommunalen Haushalte sind schon seit den Corona-Jahren nicht mehr ausgeglichen. Damals wurde das durch Hilfen vom Bund und den Ländern größtenteils kompensiert. Spätestens seit 2023 wird die finanzielle Schieflage nun immer offensichtlicher.
Was bedeutet das für die ausgerufene Investitionsoffensive in Deutschland?
Die kommunale Ebene ist die entscheidende, denn hier erleben die Bürgerinnen und Bürger den Staat direkt. Wir kommen in kommunalen Kliniken zur Welt, werden irgendwann auf kommunalen Friedhöfen begraben und dazwischen spielt sich unser Leben zu großen Teilen im kommunalen Bereich ab. Wir müssen unsere Kitas und Schulen sanieren. Ein großer Teil des Straßennetzes und der Öffentliche Personennahverkehr sind in kommunaler Hand. Überall muss investiert werden.
Doch dafür ist immer weniger Geld vorhanden. Für den Zeitraum 2024 bis 2028 erwarten wir Defizite in Höhe von mehr als 157 Milliarden Euro. Die Kommunen müssen erst einmal ihr Brot- und Buttergeschäft finanzieren. Wenn das schon kaum funktioniert, werden Investitionen aufgeschoben. Unsere Prognose – wenn wir das Sondervermögen nicht einbeziehen – geht davon aus, dass die Sachinvestitionen in den kommenden Jahren sinken: von 42 Milliarden Euro im Jahr 2023 auf unter 27 Milliarden Euro.
100 Milliarden aus dem Sondervermögen werden an Länder und Kommunen fließen. Details sollen jetzt in einem „Länder-und-Kommunal-Infrastrukturfinanzierungsgesetz“ (LuKIFG) geregelt werden. Was ist nach aktuellem Stand von dem Gesetz zu erwarten?
Der ursprüngliche Referentenentwurf war sehr gut. Das mache ich an zwei Punkten fest. Erstens war dort eine Untergrenze vorgesehen, wonach die Länder mindestens 60 Prozent ihrer Mittel an die Kommunen weiterreichen müssen. Als der Gesetzentwurf dann ins Kabinett ging, mussten wir feststellen, dass die Länder diesen Punkt rausverhandelt hatten. Für uns kommunale Spitzenverbände ist das sehr beunruhigend, zumal wir bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal darüber informiert waren, dass die Mindestgrenze zur Debatte steht. Wenn man zum Maßstab nimmt, in welchem Verhältnis die Länder und Kommunen in den vergangenen fünf Jahren in die Infrastruktur investiert haben, müssten in vielen Ländern sogar eher 80 Prozent der Mittel aus dem Sondervermögen an die Kommunen fließen.
Und der zweite Punkt?
Das Sondervermögen soll für zusätzliche Investitionen verwendet werden. Deshalb muss der Bund weiterhin zehn Prozent seines regulären Haushalts für Investitionen aufwenden. Erst für Maßnahmen, die darüber hinausgehen, darf er auf das Sondervermögen zugreifen. Eine ähnliche Regelung war ursprünglich für die Länder und Kommunen vorgesehen. Das ist technisch schwierig umzusetzen, weshalb wir auch verstanden haben, dass dieser Punkt rausverhandelt wurde. Trotzdem ist es bedauerlich, dass es nun gar kein gesetzlich festgelegtes Mindestvolumen für Investitionen mehr geben soll. Im schlimmsten Fall könnten die Länder alle Mittel, die wir aus dem Sondervermögen bekommen, mit eigenen Programmen verrechnen.
Sie befürchten also, dass man Ihnen das Geld an anderer Stelle wieder wegnimmt, nach dem Motto „rechte Tasche, linke Tasche.“ Wie hoch schätzen Sie die Gefahr, dass das wirklich passiert?
Die Gefahr ist schon da. Wenn ein Bundesland ohnehin vorhat, mindestens 60 Prozent der Mittel an seine Kommunen abzugeben, macht es wenig Sinn, dass es in Bund-Länder-Besprechungen Druck ausübt, um eine entsprechende Mindestgrenze zu kippen. So eine Intervention ist immer auch mit politischen Kosten verbunden: Man braucht Verbündete und muss den Verhandlungspartnern vielleicht an anderer Stelle entgegenkommen. Warum sollten sich Länder für eine Veränderung am Gesetzentwurf einsetzen, die sie gar nicht brauchen? Besonders bitter ist, dass auch die ursprüngliche Intention des Bundes aus dem Gesetzentwurf gestrichen wurde, wonach sich die Verteilung der Mittel an den tatsächlichen Sachinvestitionen der vergangenen Jahre orientieren sollte. Bei dieser Herangehensweise müssten die Kommunen deutlich mehr als 60 Prozent bekommen. Nun halten sich die Länder eine Hintertür offen, sogar unter diesen Anteil noch zurückzufallen.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.